Als Augenzeuge in Ecuador

Von Marco Rieckmann
Quelle: amerika21.de

In Ecuador werden derzeit verschiedene Gesetzte verabschiedet, die u.a. den öffentlichen Dienst und das Hochschulsystem neu regeln sollen. Aus verschiedener Richtung – sowohl von links als auch von rechts – hat es in den letzten Wochen Kritik an diesen neuen Gesetzen gegeben. Dabei geht es unter anderem darum, dass die Angestellten im öffentlichen Dienst bisher sehr viele Privilegien haben, die nun eingeschränkt werden sollen. Das Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes ist am Mittwoch (29.09.2010) durch die Nationalversammlung Ecuadors verabschiedet worden.

Am Donnerstag (30.09.2010) folgte ein landesweiter Polizeiaufstand. Die Polizei hat in großen Teilen des Landes ihren Dienst eingestellt, und Polizeieinheiten haben den internationalen Flughafen in der Hauptstadt Quito besetzt. Präsident Correa hat sich in Quito zu einem Polizeiregiment begeben, um den Dialog zu suchen. Den aufgebrachten Polizisten rief er entgegen: “Wenn ihr mich töten wollt, tötet mich!”. Die Polizisten schossen indes Tränengasgranaten auf ihn ab, durch eines dieser Geschosse wurde er verletzt. Correa ist dann von der Polizei in ein Polizeikrankenhaus gebracht und dort behandelt worden. Anschließend wurde er den ganzen Tag von der Polizei in dem Krankenhaus gegen seinen Willen festgehalten – bis er am Abend von einer Spezialeinheit der Armee befreit wurde.

Die im Aufstand befindlichen Polizisten haben in einigen Städten Straßen mit brennenden Reifen blockiert. So haben sie in der Stadt Ibarra für mehrere Stunden eine wichtige Verbindungsbrücke blockiert. Aufgrund der Einstellung der regulären Tätigkeit der Polizei ist es vor allem in Quito, aber auch in anderen Städten zu Plünderungen von Geschäfte und Angriffen auf Banken gekommen. Wegen dieser unsicheren Lage waren am Nachmittag im ganzen Land die Schulen und Hochschulen geschlossen worden, viele Geschäfte und Banken haben ebenfalls geschlossen.

Im Laufe des Tages haben immer mehr Organisationen und Politiker ihre Unterstützung für Correa erklärt und haben gefordert, dass die Demokratie nicht gefährdet wird. Auch die Armee hat sich auf die Seite der Demokratie und damit auf die Seite des gewählten Präsidenten Correa gestellt. In Quito haben sich viele Tausend Menschen versammelt und haben die Freilassung Correas gefordert. Die Organisation Amerikanischer Staaten hat eine Notsitzung einberufen, viele lateinamerikanische Präsidenten, aber auch die USA und die EU haben ihre Solidarität mit der ecuadorianischen Regierung signalisiert. Die ecuadorianische Regierung hat am Nachmittag den Notstand ausgerufen.

In weiten Teilen des Landes hat sich gegen Abend die Lage wieder beruhigt. In der Stadt Guayaquil hat die Polizei ihren Dienst wieder aufgenommen, so auch in anderen Städten des Landes. Die Feuerwehr und örtliche Sicherheitseinheiten haben mit Patrouillen begonnen, um die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen. Allein in Quito währte der Aufstand der Polizei länger. Einzelne Personen, die den Polizeiaufstand unterstützt haben, haben einen öffentlichen Fernsehsender erstürmt. Es ist ihnen aber nicht gelungen, die Ausstrahlung zu unterbinden.

Kurz nach 21 Uhr (Ortszeit) haben Armeeeinheiten begonnen, das Polizeikrankenhaus, in dem Präsident Correa festgehalten wurde, zu stürmen. Diese Erstürmung ist live im ecuadorianischen Fernsehen übertragen worden. Nicht nur im staatlichen, sondern auch im privaten Fernsehen – parallel auf allen Sendern. Rund 20 Minuten lang gab es Gefechte zwischen der Armee und der Polizei, wobei wohl mindestens ein Polizist getötet wurde. Alles kam live im Fernsehen, die Lage war sehr unübersichtlich. Gegen 21.30 Uhr ist es dann der Armee gelungen, in Anwesenheit des Außenministers Rafael Correa aus dem Militärkrankenhaus zu befreien.

Bereits wenige Minuten nach seiner Befreiung hat Präsident Correa vom Balkon des Präsidentenpalast in Quito eine Rede zu seinen Anhängern (wiederum live in allen Fernsehsendern übertragen) gehalten. Darin hat er deutlich gemacht, dass nicht die gesamte Polizei für den Aufstand verantwortlich ist, sondern einzelne Einheiten und dass seiner Meinung nach hinter dem Aufstand der ehemalige Präsident Lucio Gutiérrez steckt. Viele Indizien sprechen dafür und es zweifelt hier kaum jemand daran, dass dem so ist. Zudem hat Präsident Correa erklärt, dass das Gesetz zur Neuregelung des Öffentlichen Dienstes nicht verändert werden wird. Den Rebellen aus der Polizei hat er vorgeworfen, dass diese das Gesetz nicht einmal gelesen haben. Er schloss seine Rede mit den Worten: “Nichts und niemand wird die Bürgerrevolution stoppen. Hasta la victoria siempre!”

Im Anschluss an seine Rede wurde zunächst die ecuadorianische Nationalhymne gespielt und gesungen. Dann erklang das Lied “El pueblo unido”. Dabei hat Correa zusammen mit seinen Ministern und vielen Tausend Anhängern auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast dann in den Refrain eingestimmt: “El pueblo unido jamás será vencido.” Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden.

Dieser Text wurde mit der freundlichen Genehmigung von amerika21.de veröffentlicht.

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