Mit Bier und guter Laune

Sommerzeit ist Abschiebezeit in Frankreich. Auch die neue linke Regierung geht derzeit gegen Roma vor.

»Den Wechsel jetzt« – le changement maintenant – lautete das Wahlkampfversprechen François Hollandes. Die im Lande lebenden Roma sollten dies so verstehen, dass es um einen notfalls unfreiwilligen Ortswechsel gehe, spottete am Montag vergangener Woche eine Satiresendung im französischen Fernsehen. Sie machte sich auch bitter über die »Abschiebungen mit Bier und guter Laune« lustig, die die Abschiebungen unter der linken Regierung von jenen der rechten Vorgängerregierung unterscheide.

Um die 30 der campements genannten Siedlungen von Roma, die mal aus Wohnwagen und mal aus Holzhütten, Baracken und einfachen Häusern bestanden, wurden seit Anfang August geräumt. Zunächst im Raum Lyon, in La Courneuve bei Paris, in Marseille und in der Nähe von Lille. Später auch in Evry, Créteil und Stains, also Trabantenstädten rund um Paris. Dadurch verloren rund 3 000 Menschen vorübergehend ihre Bleibe. Die meisten der Betroffenen mussten sich nach neuen Unterkünften umsehen und hatten oft einen Teil ihres Hab und Guts durch die Bulldozer verloren. Etwa ein Zehntel der Betroffenen wurde nach Südosteuropa abgeschoben. Allein 240 Menschen auf einmal wurden durch einen Sonderflug, der am 9. August in Lyon abhob, nach Bukarest ausgeflogen.

Die Bilder ähnelten vordergründig jenen vom Sommer 2010. Damals waren innerhalb weniger Wochen 300 Romasiedlungen aufgelöst worden, rund 8 000 Personen wurden abgeschoben.

Die diesjährige Sommerkampagne der französischen Behörden gegen die im europäischen Vergleich relativ wenigen Roma im Land – offiziell ist von etwa 15 000 die Rede – hat also nicht dieselbe Intensität erreicht wie die damalige. Auch war der offizielle Diskurs seitens der Regierung, mit dem die Zwangsräumungen und Abschiebungen begleitet wurden, nicht der gleiche. Vor zwei Jahren hielt der damalige Präsident Nicolas Sarkozy Ende Juli eine veritable Brandrede, seine »Rede von Grenoble«. Darin behandelte er in einem Aufwasch das vorgebliche Problem in Gestalt der Roma, jenes der »Ausländerkriminalität« und das der doppelten Staatsbürgerschaft – und setzte zum Generalangriff auf alle Minderheiten an, die der Nation angeblich nur Schwierigkeiten bereiteten.

Von einer solchen Brandrede sind die Regierenden in Frankreich heute weit entfernt. Gleichwohl sieht man wieder Menschen nach dem Einsatz des Bulldozers ohne Bleibe und oft auch ohne Hab und Gut auf der Straße sitzen.

Die Ähnlichkeit der Bilder hätte Innenminister Manuel Valls wohl intendiert. Denn dem Mann, der sich erst im August das Ziel setzte, »die Erfolge der Rechtsregierung bei der inneren Sicherheit zu übertreffen«, kommen Autoritätsbeweise gelegen. In einem Interview vom 14. August in der Tageszeitung Libération antwortete der Innenminister zudem auf jene, die monierten, die Roma würden oft mit der Begründung geräumt, in ihren Siedlungen herrschten schlechte hygienische Verhältnisse, es werde ihnen aber keinerlei bessere Alternative angeboten: »Die Lösung liegt vor allem in den Herkunftsländern.« Also in Südosteuropa, wo die Roma seit langem besonders krasser Diskriminierung ausgesetzt sind.

Im Laufe der Wochen vermischte das Regierungslager in seiner Politik allerdings zwei unterschiedliche Aspekte, einen repressiven und einen eher integrativen. Am 29. August veröffentlichte das Kabinett einen Verordnungstext, der von sechs Ministern unterzeichnet war, darunter die für Inneres und für Soziales. Darin werden Zwangsräumungen von Romasiedlungen grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Es wird allerdings auch befürwortet, zuvor möglichst eine Konzertation mit den betroffenen Kommunen sowie mit Solidaritätsvereinigungen und NGOs zu suchen, um den betroffenen Menschen eventuell vorab alternative Unterkünfte zu sichern.

Zudem hebt die Verordnung bisherige Arbeitsmarktbeschränkungen für rumänische und bulgarische Staatsbürger weitgehend auf. Die Staatsangehörigen dieser im Jahr 2007 der Europäischen Union beigetretenen Länder hätten normalerweise noch bis Anfang 2014 in Frankreich nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen aus einer Liste von 150 Berufen annehmen können. Eine solche Möglichkeit zur teilweisen Abschottung des Arbeitsmarkts gegen die Neubürger der EU hatten sich Frankreich, Deutschland und andere Staaten vor dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien ausbedungen. Die Vereinbarungen erlauben die Aufrechterhaltung dieses Sonderstatus allerdings nur noch anderthalb Jahre lang, danach schreibt das EU-Recht die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Rumänen und Bulgaren vor. Nach dem jüngsten Beschluss tritt diese nun anderthalb Jahre früher in Kraft.

Durch die Mischung aus Repression und einem, jedenfalls vordergründigen, Integrationsangebot auf dem Weg über die Lohnarbeit versucht Valls, sich als einen auf Gerechtigkeit ebenso wie auf Staatsautorität pochenden Politiker zu präsentieren. In anderem Zusammenhang geriet er indessen unter Handlungsdruck.

Seit Jahresbeginn finden in den ärmeren nördlichen Stadtteilen Marseilles Auseinandersetzungen zwischen Dealerbanden statt. Anders als in anderen zu Drogensupermärkten verkommenden sozialen Brennpunkten werden solche Streitigkeiten in den Nordvierteln der Stadt seit einigen Monaten mit Kriegswaffen ausgetragen. Seit Anfang des Jahres sind 14 Tote durch Schüsse aus Kalaschnikows zu verzeichnen. Der Hauptgrund dafür ist, dass sich zwei geopolitische Einflusssphären von Mafiagruppen dort überschneiden – die der untereinander rivalisierenden italienischen Mafia-Organisationen einerseits, der für Drogennachschub aus Marokko und Lateinamerika sorgenden und expandierenden spanischen Mafia andererseits.

Eine sozialdemokratische Bürgermeisterin in den betroffenen Nordvierteln und Senatsabgeordnete, Samia Ghali, forderte Ende August sogar den Einsatz der Armee, um die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Banden zu beenden. Dies wurde allgemein zurückgewiesen, von Präsident François Hollande und Innenminister Valls ebenso wie von den Konservativen und sogar offiziell vom Front National, auch wenn in manchen rechtsextremen Kreisen nunmehr munter Phantasien über militärische »Lösungen« verbreitet werden. Die Forderung Ghalis ist dabei einerseits als echter empörter Aufschrei zu werten. Andererseits hat Ghali auch taktische Motive, da sie bei der Kommunalwahl Anfang 2014 als Oberbürgermeisterin von Marseille kandidieren möchte. Und da sie es als Immigrantentochter bislang nachweislich besonders schwer hatte, auch in ihrer eigenen Partei, kam ihr die Gelegenheit, sich relativ spektakulär zu profilieren, nicht ungelegen.

Manuel Valls hat es nun ziemlich leicht, durch seine Zurückweisung des Armeeeinsatzes als besonnener Politiker zu erscheinen. Wie zum Ausgleich gibt er sich aber auch als harter Polizeipolitiker. Das Wahlversprechen François Hollandes, eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte einzuführen sowie schikanösen und auf sogenannte ethnische Minderheiten zielenden Kontrollpraktiken einen Riegel vorzuschieben, lehnt Valls inzwischen offen ab. Auch Hollandes Anregung, die Bewohner von sozialen Brennpunkten sollten bei ihrer ersten Kontrolle an einem Tag eine Art Quittung ausgestellt bekommen, um andere – nicht durch einen konkreten Anlass gerechtfertigte – Personalienfeststellungen in den darauffolgenden Stunden zu vermeiden, will Valls nicht aufnehmen.

Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2012/36/46192.html

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