Erst kommt der Profit, dann die Menschen

Zehn Monate nach dem Erdbeben, bei dem auf Haiti 300 000 starben und 2 Millionen ihre Zuflucht in Notunterkünften suchen mussten, wird das Land noch immer betrogen, okkupiert und unterdrückt.

von Ashley Smith

Die USA und andere Mächte sowie die UNO und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hatten sich verpflichtet, den Opfern des Bebens mit Geld und anderen Ressourcen beizustehen und die zerstörte Hauptstadt Port-au-Prince wiederaufzubauen, doch keiner hat sein Versprechen gehalten, so dass die Bevölkerung heute den Ausbruch einer Cholera-Epidemie befürchten muss. Auch Hurrikan Tomas, der letzte Woche über Haiti hinwegfegte, könnte zur Ausbreitung der Cholera – und somit zu einer landesweiten Epidemie – beitragen.

Auf der anderen Seite haben die Großmächte ihre sechsjährige Kolonialbesatzung Haitis um ein weiteres Jahr verlängert. Sie koordinieren Pseudowahlen (am 28. November) und veröffentlichen Pläne zur Entwicklung von Sweatshops, in denen die verzweifelte Bevölkerung ausgebeutet werden soll.

Bereits vor Hurrikan Tomas und vor dem Ausbruch der Cholera war die Situation schrecklich. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sitzen immer noch in Camps fest – Camps, die man nur als Flüchtlingslager bezeichnen kann. Es gibt mindestens 1 500 von ihnen. Sie wurden auf allen möglichen Grundstücken errichtet. In Port-au-Prince liegen sie auf einer Plaza gegenüber dem zerstörten Nationalpalast. Aber auch zwischen den Straßen oder im Zwischenbereich von Golfplätzen wurden Lager errichtet.

‘We Have Been Forgotten’ (wir wurden vergessen) ist eine ausführliche Studie des ‘Institute for Justice and Democracy in Haiti’. Laut dieser Studie findet sich in 75% aller Familien, die in den Lagern leben, eine Person, die mindestens schon einmal einen ganzen Tag ohne einen Bissen Nahrung auskommen musste. 44% der Menschen haben nur ungeklärtes Wasser, und 27% haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Um ihre Notdurft zu verrichten, bleibt diesen Menschen nur das freie Feld.

Die ‘International Organization for Migration’ berichtet, dass 12 000 Erdbebenflüchtlinge bereits aus den Lagern vertrieben wurden. 87 000 stünden unmittelbar vor der Räumung.

In Port-au-Prince und Umgebung findet praktisch kein Wiederaufbau statt. Wie die ‘Los Angeles Times’ berichtet, waren Ende des Sommers erst 2 Prozent der Trümmer aus Port-au-Prince weggeräumt. Die Hauptstadt liegt nach wie vor in Schutt und Asche. Zu allem Überfluss haben weder die UNO noch die NGOs mit dem Bau von Ersatzwohnungen für die Vertriebenen begonnen – jedenfalls so gut wie nicht. Von den geplanten Notunterkünften wurden bislang lediglich 13 000 – 10 Prozent – gebaut.

Die Bedingungen sind furchtbar. Kein Wunder, dass Kriminelle Geschäfte mit der Verzweiflung der Menschen machen. So blüht zum Beispiel der Kinderhandel. Wie der ‘Miami Herald’ berichtete, wurden seit dem Erdbeben “mehr als 7 300 Jungen und Mädchen aus ihrer Heimat in die Dominikanische Republik geschmuggelt – von Menschenschleusern, die von der Verzweiflung und dem Hunger der haitianischen Kinder und ihrer Familien profitieren. 2009 wurden nur 950 Kinder aus Haiti geschmuggelt (laut einer Menschenrechtsorganisation, die den Kinderhandel an 10 Grenzpunkten überwacht).

WÄHREND amerikanische Politiker und Medien gerne dem haitianischen Staat die Schuld für die verzweifelte Situation in die Schuhe schieben, trägt Amerika im Grunde die Hauptschuld. Amerika ist schuld an der Armut auf Haiti. Amerika hinderte die Regierung daran, Reformen, im Interesse der Menschen, durchzuführen.

In den vergangenen 30 Jahren verhängte Amerika eine neoliberale Politik über Haiti, durch die der staatliche Industriebereich privatisiert wurde. Einfuhrzölle, die den heimischen Markt schützen sollten, wurden drastisch abgebaut. Haiti wurde für den Tourismus – und für die Sweatshops – geöffnet. Die Armen in den Städten sowie die Arbeiter und Bauern reagierten auf die Lage, indem sie 1990 Jean-Bertrand Aristide und seine Lavalas-Partei an die Macht wählten. Die Verhältnisse sollten sich endlich bessern.

Doch die USA taten sich mit der herrschenden Kaste Haitis zusammen und stürzten Aristide – zwei Mal: 1994 und 2004. Die Regierung des aktuellen Präsidenten, René Préval, hat die Funktion eines Marionettenregimes, das die Befehle der Imperialmächte loyal befolgt. Dafür wurde gesorgt.

Im Grunde üben die USA, gemeinsam mit anderen Großmächten, auf Haiti die Staatsgewalt aus – mit Hilfe der neokolonialen UNO-Truppen, die das Land besetzt halten. Diese Länder tragen die Hauptschuld an der mangelnden Hilfe für die Erdbebenopfer und am Ausbleiben des Wiederaufbaus.

Ende März trafen sich die mächtigen Staaten der Welt zu einer (Geber-)Konferenz in New York City. Eine Interimskommission (IHRC) wurde eingesetzt, die den Wiederaufbau auf Haiti koordinieren soll. Als Wiederaufbauhilfe wurden $10 Milliarden versprochen, von denen $5,3 Milliarden in den folgenden 18 Monaten ausgezahlt werden sollten.

Die Konferenz ist 7 Monate her. Wie das Büro des Sondergesandten der UNO berichtet, haben die meisten Geberländer ihre finanziellen Beiträge noch nicht geleistet. Nur 32% der Spenden für 2010/2011 seien bislang eingegangen. Für Projekte seien sogar noch weniger geflossen: lediglich 22%. Die USA sind der größte Schuldner: Von den versprochenen 1,15 Milliarden US-Hilfe ist noch kein einziger Penny bezahlt worden.

Ebenso wenig haben die NGOs – die aus dem überwältigenden Mitleid der Welt für Haitis Bevölkerung Kapital schlugen -, ihr Versprechen eingelöst, den Erdbebenopfern zu helfen und zum Aufbau des Landes beizutragen.

“Die großen karitativen Organisationen haben viel Geld auf ihren Bankkonten, das nicht nach Haiti fließen wird” sagt Melinda Miles von der ‘Haiti Response Coalition’ zu AP (Associated Press). Am schlimmsten ist das ‘Rote Kreuz’: Von den $480 Millionen, die dort nach dem Beben an Spenden eingingen, wurde nicht einmal ein Drittel ausgegeben.

Wen wundert es da, dass die Haitianer wütend sind auf die NGOs. Der Anthropologe Mark Schuller berichtet: “Die meisten Leute sind zornig auf die NGOs, weil diese nun einmal – ob man es gut findet oder nicht -, die Aufgabe übernommen haben, die Menschen mit staatlichen Dienstleistungen zu versorgen”. Laut Schuller glauben die Haitianer, die “NGOs werden reich durch unser Elend. Sie wollen nicht wirklich, dass sich was ändert – denn, wenn die Probleme gelöst wären, würden die NGOs nicht weiterexistieren”.

Als Folge dieses imperialen Betrugs an Haiti ist es – 10 Monate nach dem Erdbeben – hilflos Hurrikanen und Krankheiten ausgesetzt. So als hätten sie sich koordiniert, schlugen beide Phänomene nämlich zur gleichen Zeit zu.

Auf dem Zentralplateau und in der Region Artibonite ist die Cholera ausgebrochen. Artibonite ist der Brotkorb der Nation. Der Ausbruch der Seuche war keine Naturkatastrophe sondern Folge beschädigter oder nichtexistenter Abwassersysteme im Land.

Die Cholera-Bakterien gelangten über menschliche Fäkalien in den Fluss Arbonite. Zwei Regionen nutzen diesen Fluss für ihre Trinkwasserversorgung und für Bewässerungsprojekte. Die Menschen baden in seinem Wasser.

Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) sind innerhalb der letzten zweieinhalb Wochen

9 100 Menschen auf Haiti an der Cholera erkrankt; 583 starben bereits. Inzwischen beginnt sich die Krankheit auch in den Slums und den Lagern von Port-au-Prince auszubreiten. Allein im Armenviertel Soleil de Cité wurden – laut ‘Ärzte ohne Grenzen’ – 200 Fälle registriert.

Die USA und andere Großmächte sind verantwortlich für die Bedingungen, die zum Ausbruch dieser Seuche geführt haben: Zwischen 2000 und 2004 verhängten sie ein Embargo über Haiti. Dies war Teil einer ‘Destabilisierungskampagne’, die das Ziel hatte, die Regierung Aristide zu stürzen. Durch das Embargo wurde ein Kredit der ‘Inter-American Development Bank’, mit dem die öffentliche Wasserversorgung in der Region Artibonite verbessert werden sollte, eingefroren. Die Artibonite-Regierung ist somit eine ideale Brutstätte für eine Krankheit wie die Cholera.

Der eigentliche Grund, weshalb die Cholera nach Haiti kam, ist möglicherweise bei der UNO zu suchen. In vielen Berichten ist davon die Rede, dass einige nepalesische UNO-Soldaten, die vor einiger Zeit nach Haiti verlegt wurden, die Ansteckungsquelle seien. Schließlich gab es auf Haiti 50 Jahre lang keinen Cholera-Fall mehr. In Nepal ist Cholera eine Plage. Hinzu kommt, dass der spezifische Bakterienstamm, der bei kranken Haitianern gefunden wurde, ein Erregerstamm ist, den es auch in Nepal gibt.

Unglaublich, dass die UNO keinen ihrer Soldaten auf Cholera testet. Im Falle der nepalesischen Soldaten, die Anfang des Jahres auf einen Stützpunkt nahe des Artibonite-Flusses verlegt wurden, ist dies nicht geschehen. AP recherchierte vor Ort und “fand hinter der Basis offene und zerbrochene Rohre… Der Gestank von menschlichen Exkrementen war überwältigend. Aus einem lecken Rohr, das zu einem angegammelten Tank führte, rieselte eine faulige, übelriechende Flüssigkeit in Richtung Fluss”.

Als Reaktion marschierten Hunderte Haitianer aus Mirebalais zum Stützpunkt und verlangten die Verlegung der Soldaten.

Am 5. November schlug Hurrikan Tomas zu. Die Gefahr bestand, dass der Cholera-Ausbruch sich zu einer echten Epidemie entwickeln würde. Zum Glück schwächte sich der Hurrikan beträchtlich ab, bevor er auf Haiti traf. Dennoch kamen bei dem Sturm, so die ‘New York Times’, 21 Menschen um, 6 610 verloren ihr Heim. Die Sturmwinde des Hurrikans zerrissen Zelte und Plastikplanen. Der Regen verwandelte die Flüchtlingslager von Port-au-Prince in matschige Sümpfe. Die Überflutungen könnten die Choleraerreger weiterschwemmen.

Wie ‘Partners in Health’ berichtet, haben sich “die Lebensbedingungen in den Lagern…. durch den Sturm massiv verschlechtert. Das stehende Wasser, der Müll, der nicht mehr eingesammelt wird und die eingeschränkte sanitäre Lage machen die Lager zu potentiellen Brennpunkten eines Cholera-Ausbruchs”.

Während des Hurrikans rührten die USA kaum einen Finger, um Haiti zu helfen. Der Luftwaffenträger Iwo Jima wurde losgeschickt, um – mittels Luftaufklärung – die Schäden auf Haiti zu ermessen. Kaum besser verhielten sich die NGOs. Violet Nicolas, eines der Hurrikan-Opfer, sagte gegenüber ‘Inter Press Service’: “Unsere Häuser sind schon wieder kaputt. Ich habe meine Sachen verloren. Die tun überhaupt nichts für uns. Wir bekommen sie nie zu Gesicht. Seit das Wasser eingedrungen ist, stecken wir in noch mehr Problemen”.

Der Hurrikan ist vorüber, aber die Cholera wird Haiti wahrscheinlich noch jahrelang zu schaffen machen. Evan Lyon, ein Arzt von ‘Partners in Health’, sagte gegenüber Democracy Now!, die Cholera “wird so lange nicht aus Haiti verschwinden, wie sich nichts an den Ursachen ändert, die die Menschen anfällig machen… Vielleicht wird die erste Welle der Erkrankungen vorbeigehen, aber entscheidender ist, dass die Krankheit nicht weggehen wird, solange die Infrastruktur so dürftig ist”.

Die ‘New York Times’ sagt voraus, dass die “Cholera alltäglich werden wird und in den nächsten Jahren 270 000 Menschen befallen könnte”.

Haiti wird von einer Katastrophe nach der anderen heimgesucht. Währenddessen scheinen sich die USA nur mit der Frage zu beschäftigen, wie man Haiti, mit Hilfe repressiver Streitkräfte, am besten stabilisieren könnte. Außerdem entwickeln die USA Geld-für-Arbeit-Modelle – um die Erdbebenopfer gerade so am Rande der Verzweiflung zu halten. Die USA drängen auf Wahlen – Pseudowahlen, die dem Marionettenregime einen gewissen Anschein von Legitimität geben sollen. Ziel ist es, ein relativ sicheres Umfeld für die Geschäfte der multinationalen Konzerne und der herrschenden Klasse Haitis zu schaffen.

Um den Haitianern Sicherheit zu verordnen, haben die USA die UNO dazu gebracht, ihre Besatzung auf ganz Haiti auszuweiten. Die UN-Stabilisierungsmission auf Haiti (MINUSTAH) wurde kurz nach dem Putsch gegen Aristide (2004), der von den USA unterstützt wurde, ins Land geschickt. Die Mission kostet jedes Jahr $600 Millionen.

Derzeit verfügt die MINUSTAH über 9 000 Soldaten und 4 300 Offiziere, die im Land patrouillieren. Im Oktober verlängerte der UN-Sicherheitsrat die MINUSTAH-Mission um ein weiteres Jahr – mit der Behauptung, dies wäre notwendig, um faire Wahlen zu gewährleisten, “die Zahl, der in Umlauf befindlichen Waffen” unter Kontrolle zu halten und um “gravierende Verstöße gegen Kinder, die von bewaffneter Gewalt in Mitleidenschaft gezogen werden” zu verhindern und “die weitverbreiteten Vergewaltigungen beziehungsweise den sexuellen Missbrauch von Frauen und Mädchen” zu stoppen.

In Wirklichkeit ist die UNO Teil des Problems und nicht der Lösung.

Die Truppen der UN-Mission sorgen nicht für Demokratie. Sie wurden – nach dem US-Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Aristide – nach Haiti geschickt, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Als größte bewaffnete Macht auf Haiti war es ihnen möglich, die Proteste, mit denen die Rückkehr Aristides gefordert wurde, immer wieder zu unterdrücken.

Was den Schutz von Frauen und Kindern angeht, so werden Soldaten der MINUSTAH immer wieder beschuldigt, Frauen vergewaltigt zu haben. Die extreme Zunahme des Kinderhandels geschieht direkt unter den Augen der UNO. Aus diesem Grund protestierten in Port-au-Prince Aktivisten gegen die Verlängerung der MINUSTAH-Mission. Das ‘Bureau of Avocats Internationaux’ (BAI) erklärte: “Man verschwendet Geld an diese Mission; (und) die Protestierenden wollen echte Unterstützung und nicht die Erneuerung (des Mandats)…. einer militärischen Besatzungsmacht”.

Die USA wissen, dass sie die UNO-Besatzung nicht endlos ausdehnen können. Daher trainieren mächtige Staaten die Haitian National Police. 1995 hatte Aristide die haitianische Armee aufgelöst. (Haitian Armed Forces). Seither bemühen sich die USA um den Aufbau der haitianischen Polizei – als Alternative – um die Bevölkerung in Unterdrückung zu halten.

Heute hat Haiti 8 000 Polizisten. Die USA streben eine Aufstockung auf 14 000 an. Allein Kanada hat $44 Millionen in die Ausrüstung und das Training von haitianischen Polizeioffizieren investiert. Die USA und andere Mächte hoffen, dass die Polizei eines Tages die MINUSTAH ersetzen kann – als tüchtige repressive Kraft im eigenen Land.

Den USA ist zudem klar, dass die Besatzung und der Aufbau einer Polizeimacht nicht genügen, um eine Gesellschaft zu stabilisieren. Sie wollen die Haitianer in Arbeit bringen. Sie sollen nicht mehr im absoluten Elend leben, sondern in gerade noch erträglicher Armut. Aus diesem Grunde entwickelten die USA das Cash-for-work-Programm (Bargeld für Arbeit): Erdbebenopfer werden für eine zeitweise Beschäftigung angeworben. Die Projekte sind verschieden. Eines davon ist das Aufsammeln von Trümmern.

Die Cash-for-work-Programme zahlen ihren Beschäftigten einen Mindestlohn von $5 pro Tag (oder $4 und eine Lebensmittelration). Laut der Studie von ‘Haiti Grassroots Watch’ können die Arbeiter von diesem Einkommen kaum überleben – ganz zu schweigen von ihren Familien. In der Studie heißt es: “Das ‘Workers Rights Consortium’ mit Sitz in Washington, hat errechnet, wie viel ein Erwachsener mit zwei Minderjährigen, die er mit ernährt, verdienen muss, um überleben zu können. Dabei wurden der Kalorienbedarf, Miete, Schule, Energiekosten, Nahrungsmittel und andere Lebenshaltungskosten einberechnet. (Die Summe liegt bei) $13,88 pro Tag”.

Selbst die USA geben zu, dass durch die Geld-für-Arbeit-Programme nicht alle Trümmer eingesammelt werden können und dass die Menschen so der Armut nicht entrinnen werden. Robert Jenkins, leitender Direktor von USAID-Haiti drückt es zynisch aus, wenn er schreibt:

Strategisches Ziel auf Haiti sei es, in einer sich verändernden, labilen Umwelt, zur Stabilität beizutragen. Die ersten Maßnahmen (Taktiken), um dieses Ziel zu erreichen, bestünden darin, eine Anzahl Arbeiter (einzustellen), um die Trümmer wegzuräumen. Die zugrundeliegende Überlegung, in Bezug auf dieses Ziel, sei, erstens, dass die Arbeitenden (vor allem junge Männer) weniger gewalttätig seien, wenn sie eine Beschäftigung hätten, zweitens, dass auf diese Weise Bargeld in die ärmsten Viertel fließe, was einen heilsamen Effekt habe, und drittens, dass die Trümmer in den ärmsten Vierteln weggeräumt würden, was einen hohen symbolischen Wert habe, weil es Hoffnung mache, dass eine Rückkehr zu einer gewissen Normalität stattfinde.

Anders gesagt: Diese Programme sind ein Trick, um Sicherheit herzustellen und den Anschein von Fortschritt beim Wiederaufbau zu erwecken – nur den Anschein, wohlgemerkt, echter Fortschritt findet nicht statt.

Die letzte Komponente des US-Stabilisierungsplanes für Haiti zielt darauf ab, die Illusion zu verbreiten, Haiti sei ein demokratischer, unabhängiger Staat. Die USA und weitere Staaten sowie die UNO pumpen Millionen in die Organisierung der bevorstehenden Wahlen (am 28. November), bei denen sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt wird. Allein Kanada will $5,8 Millionen für die Wahlen spenden. Um sicherzustellen, dass nur deren Kandidaten gewählt werden, unterstützen die USA Präsident Prévals Provisorischen Wahlrat (CEP). Dieser verbietet die populärste politische Partei auf Haiti: Fanmi Lavalas, die Partei Aristides. Der CEP lässt Fanmi Lavalas seit dem Coup 2004 zu keiner Wahl antreten.

Auf diese Weise manipuliert der CEP – mit stillschweigender Duldung der USA – die kommenden Wahlen. Zugelassen sind ausschließlich Kandidaten der herrschenden Elite oder Wendehälse aus der Volksbewegung, die ihren Frieden mit den Besatzern gemacht haben. Prévals handverlesener Nachfolger als Präsident wird Jude Celestin sein. Er führt in den Umfragen schon jetzt.

Weil die Fanmi Lavalas erneut nicht zugelassen wurde, lehnen die Volksbewegungen und die Linke die Wahlen ab. Sie bezeichnen sie als Scheinwahlen und rufen zum Wahlboykott auf. Die Bauern, die Armen in Stadt und Land sowie die Arbeiter werden diesem Aufruf sehr wahrscheinlich folgen und nicht wählen…? Die Wahlbeteiligung dürfte absolut niedrig sein. Kein Zweifel: Der neue Präsident und das neue Parlament werden nicht die Unterstützung des Volkes haben. Sie werden nur die Funktion eines Marionettenregimes für die herrschende Klasse Haitis und die mächtigen Staaten erfüllen.

Von einer Stabilisierung Haitis erhoffen sich die USA – in den Worten des UN-Sondergesandten für Haiti, Bill Clinton -, die Gewähr, dass das Land “offen für Geschäfte” sein wird.

Clinton will einen neoliberalen Plan umsetzen, der von Paul Collier entwickelt wurde, mit dem Titel: ‘Haiti: From Natural Castastrophe to Economic Security’.

Der Plan ist Teil der Arbeit der IHRC (Interimskommision zur Koordinierung des Wiederaufbaus von Haiti) und sieht u.a. Sweatshops, Entwicklung, Tourismus und eine Export orientierte Landwirtschaft für Haiti vor. Es ist ein Plan, der den Interessen der multinationalen Konzerne dienlich ist sowie der herrschenden Klasse Haitis, und er basiert auf der Ausbeutung der verzweifelten Armen des Landes.

Der Plan bringt nichts Neues. Er ist wie alles andere, das die USA seit den 70ger Jahren über Haiti verhängen. Nicht um Entwicklung ging es, sondern um das Gegenteil – um eine rückwärtsgewandte Entwicklung. So wurde die bäuerliche Landwirtschaft zerstört, die Menschen mussten in die Städte abwandern, wo es nicht genügend Arbeit für sie gab. Auf diese Weise sind die großen Slums von Port-au-Prince entstanden.

Neoliberale Ideen wie diese haben zu Bedingungen geführt, die aus natürlichen Katastrophen – wie Erdbeben, Cholera oder Hurrikanen – soziale Katastrophen machen.

Die USA, weitere Mächte, die UNO und die NGOs haben sich als unfähig erwiesen, die Krise auf Haiti zu lösen. Im Grunde sind sie die Hauptverursacher dieser Krise. Sie müssen gezwungen werden, nicht nur ihre Hilfszusagen für den Wiederaufbau des Landes (die sie nach dem Erdbeben gaben) einzulösen, sondern zusätzlich Reparationen zu zahlen – für den jahrzehntelangen Schaden, den sie Haiti zugefügt haben.

Nur, wenn die Massen auf Haiti in den Besitz solcher Gelder gelangen und dadurch in der Lage sein werden, ihre Gesellschaft wiederaufzubauen, wie es ihren Interessen entspricht, werden diese Menschen in der Lage sein, sich aus dem endlosen Kreislauf der Krisen zu befreien, der Haiti imperialistisch aufgebürdet wurde.

Quelle: Zmag

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