Und es war eine Klärung

Nach den Abstimmungen

Von Kaspar Surber

Die Kompromisslosigkeit nicht aufgeben. Nicht hinter die Genauigkeit zurück. Und: An diesen Widerstand muss man sich erinnern. Dies sind drei mögliche Erkenntnisse für die Linke aus dem Abstimmungswochenende.

Zur Kompromisslosigkeit: Die Schweiz hat nach der Minarettinitiative erneut einer ausländerpolitischen Vorlage der Rechtspopulisten zugestimmt. Das war lange Jahrzehnte nicht denkbar. Und doch stellt sich die Frage, ob nicht die Verwahrungsinitiative am Anfang dieser Kette stand: Dass es also weniger um Vorlagen zur Migration geht, sondern vor allem um solche, die politisch den «Volkswillen» absolut setzen. Dabei werden jeweils einer Minderheit die Grundrechte abgesprochen.

Auf jeden Fall zeigte der Sonntag: Das Einknicken bereits vor der Abstimmung hat nichts gebracht. Die Ausschaffungsinitiative wurde nicht trotz, sondern wegen des Gegenvorschlags angenommen. Er hat auf fatale Weise signalisiert, Grundrechte seien verhandelbar, und damit die Bekämpfung der Initiative geschwächt.

Insofern hat der SP-Disput über den Gegenvorschlag eine wertvolle Klärung gebracht: Es gibt keine Kompromisse bei den Grundrechten. Gegen menschenfeindliche Tendenzen hilft kein Appeasement. Simonetta Sommaruga muss jetzt nicht die InitiantInnen an den Tisch bitten. Das Parlament muss Initiativen, die zur Diktatur der Mehrheit führen, endlich für verfassungswidrig erklären.

Zur Genauigkeit: In zahlreichen Kommentaren war zu hören, die Mitteparteien seien am Sonntag bedeutungslos gewesen. Das stimmt nicht: Mit einer Millionenkampagne hat Economiesuisse, traditionell der FDP nahestehend, ein wenig Steuergerechtigkeit verhindert. Gegen die Ausschaffungsinitiative jedoch liess der Wirtschaftsverband keinen Rappen springen. Man muss das noch nicht fremdenfeindlich auslegen, aber offenbar versteht man bei Economie­suisse die Menschenrechte bestenfalls als Derivat wirtschaftlicher Freiheit.

Es gibt in der Schweizer Politik zwei grosse Finanzquellen: die SVP mit dem Milliardär Christoph Blocher und die Economiesuisse. Wo ergänzen sich der fremdenfeindliche und der neoliberale Kurs, wo widersprechen sie sich? In welchen Netzwerken sprechen sich die ExponentInnen ab, wann können sie sich blind vertrauen? Neben einer solchen Analyse ist eine Beschränkung der Kampagnen­finanzierung das demokratische Gebot der Stunde.

Das Wechselspiel von egoistischer Ausgrenzung und maximalem Gewinn ist dabei als internationale Entwicklung zu verstehen, die von der Tea-Party-Bewegung in den USA und Europas Rechtspopulisten befeuert wird. Das macht sie in der Krise besonders bedrohlich.

Zum Widerstand: Die Schweiz, das zeigte der Sonntag, ist ein Rechts-Staat, in dem die Linke, ausser bei Sozialabbaureferenden, nicht viel mehr als ein Drittel der Stimmen erreichen kann. Stark ist sie vor allem in den grossen Städten und in der Westschweiz, doch auch mittlere Städte wie Luzern, St. Gallen, Winterthur lehnten die Ausschaffungs­initiative deutlich ab. Aber nicht nur ein Graben zwischen Stadt und Land besteht, sondern auch ein sozioökonomischer. Das zeigte die letzte Umfrage zur Steuergerechtigkeitsinitiative: Bei den Einkommen unter 7000 Franken fand sie keine Mehrheit.

Was also bleibt? Das während der ganzen Kampagne diffamierte doppelte Nein zur Ausschaffung hat eine positive Dynamik entwickelt: Mit Flugschriften, Videoclips und Konzertnächten entstand eine kulturelle Bewegung. Sie wurde in der Stadt gegründet, sie könnte nun in die Agglo getragen werden. Die politische Linke wiederum tut gut daran, wenn sie auf Projekte setzt, die sich an der Lebensrealität ihrer Klientel mit tiefem und mittlerem Einkommen orientieren: den Mindestlohn oder eine AHV plus, und – sowieso richtig – eine Erbschaftssteuer.

Es war eine Niederlage, erneut. Es ist ungemütlich, und das Wahljahr folgt erst. Dennoch haben sich für die Linke wichtige Fragen geklärt. In diesem Sinn: Wir bleiben hier, und wir gewöhnen uns nicht daran.

Quelle: WOZ vom 02.12.2010

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