»Es tut weh«

Seit 2010 regiert Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Partei Fidesz in Ungarn. Die Prognosen sagen ihm auch für die Wahlen im Frühjahr 2018 einen Sieg voraus. Wie also weiter, fragt sich die Opposition in Ungarn.

Heftig diskutiert wird derzeit der Vorstoß des Vorsitzenden der neofaschistischen Partei Jobbik. Gábor Vona versucht, die Wähler und Parteien des mittleren politischen Spektrums für einen Regierungswechsel zu gewinnen.

Die erste Initiative dieser Art hatte es von ihm Anfang Oktober gegeben, nachdem der Spitzenkandidat der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP), László Botka, seinen Ausstieg aus dem Wahlkampf erklärt hatte. Vona rief in einem offenen Brief seine »verehrten linken Volksgenossen« auf, bei den kommenden Wahlen für Jobbik zu stimmen. Diese sei nunmehr nicht nur die größte, sondern auch die einzige ernstzunehmende Oppositionskraft. Die Frage sei heute nicht mehr, wer links und wer rechts sei, sondern wer einen Regierungswechsel wolle und wer nicht. In einem Interview mit der Tageszeitung Magyar Nemzet vom 21. November wurde er konkret. Er sei bereit, einen Kompromiss mit den »Parteien des 21. Jahrhunderts« einzugehen. Gemeint sind damit die beiden relativ neuen Parteien LMP und Momentum, die nicht für die katastrophalen Bilanz des »Systemwechsels« nach 1989 verantwortlich gemacht werden können.

Bislang haben diese Parteien Vona mehr oder weniger klare Absagen erteilt. Auch die ehemalige Vorsitzende von MSZP, Ildikó Lendvai, sagte in einem Interview am 24. November gegenüber mandiner.hu, dass sie für eine Zusammenarbeit nicht zur Verfügung stehe. Das Problem sei nicht nur die Vergangenheit der Partei, sondern dass Jobbik in vielen Punkten mit Fidesz übereinstimme. »Fidesz hat den Großteil ihrer Slogans übernommen. Das Jobbik-Programm von 2014 hat Fidesz in weiten Teilen verwirklicht und ihren Platz auf der politischen Landkarte eingenommen.«

fuckfidesz
Vonas Mitstreiter bekommen nun in den regierungsnahen Medien Raum, um ihr Befremden über sein Werben um die politische Mitte Ungarns zu äußern. So zum Beispiel die Jobbik-Europarlamentsabgeordnete Krisztina Morvai, die in einem Interview am 23. November im Magazin heti válasz erklärte, sie wisse nicht, ob sie bei den nächsten Wahlen für Jobbik stimmen könne. Zu Vona habe sie seit drei Jahren keinen Kontakt mehr. »Als Frau darf ich zugeben, es tut weh.« Vona habe die ursprünglichen Prinzipien Jobbiks aufgeben, um den Linken den Hof zu machen.

Damit verweist sie wohl auf die Prinzipien der Zeit vor 2013. Die Partei hatte damals noch mehr oder weniger offen die faschistische und erzreaktionäre Vergangenheit Ungarns verherrlicht und war mit aggressiver Hetze gegen Juden, Homosexuelle und Roma über die ungarische Landesgrenze hinweg bekanntgeworden. Seit 2013 versucht Jobbik mit einer »Zuckerkampagne«, »radikale Inhalte« mit moderater Rhetorik zu verbinden um die von Fidesz enttäuschten Wähler zu erreichen. Das Führungspersonal wurde teilweise ausgetauscht. Das Ziel sei, zur Volkspartei zu werden. Mitte Oktober hatte Vona in einem Interview mit dem Fernsehsender atv gesagt, er sei bereit, sich bei Juden und Roma zu entschuldigen.

Zustimmung findet er von ungewohnter Seite. Die auch in Deutschland bekannte Philosophin Ágnes Heller: »Warum sollen sie nicht zusammenarbeiten, um ein normales Land zu schaffen?«, sagte sie gegenüber mandiner.hu. Der frühere Standpunkt der Partei sei »bedauerlich«, die Partei vertrete derzeit aber andere politische Ansichten, und nur darauf komme es an.

Für die regierungsnahen Medien ist die Angelegenheit ein gefundenes Fressen. Es verging kein Tag in den letzten Wochen, in denen von Orbáns Medien nicht Beweise präsentiert wurden, wie antisemitisch und rassistisch Jobbik sei. Den linksliberalen Kräften werfen sie vor, kein Mittel sei ihnen zu schade, um an die Regierung zu kommen.

Im Ergebnis hat dies alles zu der absurden Situation geführt, dass demokratische Parteien über eine Öffnung hin zu einer neofaschistischen Partei diskutieren. Linke Perspektiven zur Überwindung der gegenwärtigen Lage und eine sozialistische Alternative bleiben aber weiterhin mit einem Tabu belegt. Darin war der Vorstoß erfolgreich, auch wenn Jobbik die Wahlen gegen Orbán 2018 nicht gewinnen wird.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/322639.es-tut-weh.html

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