Zypern: Grenze besetzt!

Ein Grenzcamp der besonderen Art steht seit inzwischen mehr als drei Monaten in der “Toten Zone”, der UN-Pufferzone zwischen den beiden Teilen von Nikosia, der Hauptstadt Zyperns.

Erst mal was zur Vorgeschichte dieser Grenze. Zypern ist seit 1974 in einen türkischsprachigen, muslimischen Norden und einen griechischsprachigen, christlich-orthodoxen Süden geteilt. Nach dem zweiten Weltkrieg stand die Insel unter britischer Verwaltung, gegen die sich jedoch Widerstand entwickelte. Vor allem die griechische Bevölkerung wollte nach dem Vorbild Kretas den Anschluss an Griechenland und begann schließlich einen bewaffneten Aufstand. Die türkische Minderheit war dagegen, da sie sich weder unter griechischer Vorherrschaft noch durch einen eventuellen Anschluss an die Türkei eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erhoffte und ihr deswegen die britische Besatzung als kleinstes Übel erschien. Der Aufstand war erfolgreich, auf Druck der Türkei wurde die Insel jedoch ein unabhängiger Staat und durfte nicht Teil Griechenlands werden.

Das Klima zwischen den ethnischen Gruppen auf der Insel war seither vergiftet, es kam zu Gewalt, Ghettoisierung und Vertreibung der jeweiligen Minderheiten. In Nikosia konnten ChristInnen nicht mehr im Norden leben und Moslems nicht mehr im Süden. Dieser Konflikt eskalierte im Zypernkrieg von 1974. Die griechische Militärdiktatur versuchte (vor allem, um mit einer “patriotischen” Aktion von ihren innenpolitischen Problemen abzulenken) den Anschluss der Insel an Griechenland durchzusetzen, die türkische Armee besetzte den Nordostteil Zyperns und schließlich musste die UNO die Waffenstillstandslinie sichern, die mitten durch die Hauptstadt Nikosia (griechisch Levkosia / türkisch Lefkosa) verlief. Positiver Nebeneffekt war nur, dass wegen dieser Pleite letztlich die griechische Militärdiktatur stürzte.

Die verbliebenen Minderheiten wurden nun jeweils in “ihre” Zone umgesiedelt (was nochmal mit sehr viel Gewalt und Pogromen einherging), und nur alte Ortsnamen und verwilderte Friedhöfe zeugen noch davon, wer früher einmal wo gelebt hatte. Im Norden wurde die “unabhängige türkische Republik Nordzypern” ausgerufen. Diese steht allerdings unter starkem Einfluss des türkischen Staates, deswegen erkennt auch nur die Türkei sie als unabhängigen Staat an, der Rest der Welt hält sie schlicht für eine türkische Besatzungszone (dort wird auch mit türkischen Lira bezahlt). Der Süden, ein unabhängiger Staat und mittlerweile EU-Mitglied, ist heute ein boomendes Ferienparadies, verhunzt von touristischen Großprojekten und hemmungsloser Bauwut, das sich momentan zu einer Art russischem Mallorca entwickelt. Bezahlt wird in Euro, und zwar schweineteuer.

(Diese Geschichte kann man sicher auch ganz anders erzählen; in griechischen und türkischen Schulbüchern findet Ihr Darstellungen, die mit dieser hier nur entfernt zu tun haben und einander sowieso diametral widersprechen. Das hier ist meine Version, die ich vor Ort aufgeschnappt habe — hauptsächlich von nicht ganz patriotischen jungen Leuten auf beiden Seiten der Grenze.)

Proteste gegen die Grenze hatte es schon seit einiger Zeit gegeben. Im Rahmen sozialer Proteste und mehrerer Generalstreiks letzten Winter gegen Sparpläne der Regierung im türkischen Nordteil war auch die Forderung nach echter Unabhängigkeit von der Türkei und dem Abzug der türkischen Armee aufgekommen. Im griechischsprachigen Süden gab es parallel dazu ebenfalls Demonstrationen gegen die Teilung.

Inspiriert durch die Occupy-Bewegung begann eine Handvoll AnarchistInnen am 15. Oktober zunächst mit wöchentlichen Treffen zwischen den beiden Grenzposten im Zentrum Nikosias, mehr spaßeshalber wurde das ganze gleich “Occupy Buffer Zone” bzw. “Occupy Dead Zone” genannt. Mit der Zeit hatten diese “Asambleas” dann immer mehr Zulauf von beiden Seiten der Grenze. Im November wurde schließlich ein permanentes No-Border-Camp daraus, es wurden Zelte aufgestellt, eine Küche eingerichtet usw.

Die Forderungen der CamperInnen lauten wie folgt:

  • 1. Keine Polizei, kein Militär, keine Grenzen.
  • 2. Umverteilung des Eigentums der Institutionen mit Grundbesitz (einschließlich der Kirche) an die Menschen.
  • 3. Lösung der “Zypernfrage”.
  • 4. Zugang zu Wohlfahrt für alle (angemessene Unterkunft, Gesundheitsversorgung, unparteiische Erziehung).

In einer ausführlicheren Form macht das Manifest dazu konkrete Vorschläge und befasst sich zudem mit Themen wie Umwelt, Kapitalismus und Einwanderung; das englische Original findet Ihr unter diesem Artikel.

Die Pufferzone ist ein 100 Meter breiter Streifen quer durch das Zentrum der geteilten Stadt. Ein kompletter Straßenzug einschließlich der Häuserblocks rechts und links davon ist geräumt und wird von der UNO kontrolliert. Die leeren Häuser stehen seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 40 Jahren praktisch unverändert da — die Fenster mit allmählich zerbröselnden Sandsäcken gefüllt, mit kleinen Schießscharten für die Scharfschützen, als könnte es jeden Augenblick wieder losgehen. Weil auch politisch in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen ist und ein Ende der Teilung nicht mehr vollkommen utopisch erscheint, stehen allerdings auch schon die Immobilienhaie in den Startlöchern; die Situation ist ein bisschen mit Berlin zu vergleichen. Südnikosia ist ja relativ reich, mehrere Dutzend Hektar potentielles Bauland mitten in der künftigen gemeinsamen Hauptstadt wecken da bereits jetzt Begehrlichkeiten.

Die Zelte wurden nun zunächst in dieser gesperrten Straße zwischen den geräumten Häuserblocks aufgestellt. Die traditionelle “Winter Street Parade”, die seit einigen Jahren jeden Dezember durch den Südteil Nikosias zieht und heuer auf den 24.12. fiel, startete diesmal direkt am Grenzcamp. Es war weniger lustig als auch schon, erstens regnete es in Strömen und zweitens meinte offenbar der neue konservative Bürgermeister sich mit einem stressigen Bulleneinsatz profilieren zu müssen.

Das neue Jahr wurde abseits vom Zugriff der Cops beider Seiten direkt im Camp gefeiert. Eine Teilnehmerin schildert es so: “Das Protestcamp ist das lustigste und chilligste von allen, die ich bisher mitbekommen habe. Auf der Silvesterparty wurde um Feuertonnen herumgetanzt, in der ganzen Pufferzone wurde Reggae gespielt — und nebenbei besetzten ein paar Leute heimlich ein angrenzendes Gebäude.” In den gesquatteten Räumen, einem Laden und einer Werkstatt, entsteht nun ein autonomes Kulturzentrum mit Infoladen. Jeden Tag ist um 19 Uhr Plenum, und es gibt viele weitere Angebote, donnerstags gibt es abends immer einen Tango-Workshop, entlang der gesperrten Straße wird ein bisschen “guerilla gardening” betrieben, Protestaktionen in beiden Teilen der Stadt werden organisiert usw.

Natürlich gibt es auch Konflikte mit der Obrigkeit. “Eigentlich” sympathisiert die UNO ja mit den CamperInnen, weil die für die Wiedervereinigung sind. In der Praxis sieht es manchmal anders aus. Zum Beispiel, als türkischsprachige CamperInnen ein Soli-Transpi für Halil Savda (Kriegsdienstverweigerer in der Türkei) und gegen Folter in der Armee aufhängten. Nach Neujahr besuchten, offenbar zur Einschüchterung, Soldaten des türkischen Nordens das Camp (was eigentlich vollkommen illegal ist, die demilitarisierte Pufferzone ist für das Militär beider Seiten absolut tabu). Auf Wunsch des nordzyprischen Militärs entfernte die UN-Truppe schließlich das Transparent. Die CamperInnen kritisierten, dass diese Form der Zensur eigentlich nicht zu den Aufgaben der UNO gehört, und hängten stattdessen ein Transparent auf, das der UNO vorwirft, Folter in der türkischen Armee zu unterstützen.

Die Geschichte könnt Ihr auf den Internetseiten von Occupy Bufferzone weiterverfolgen (das meiste auf Englisch):

HP (Facebook): http://www.occupybufferzone.info
Blog: http://occupybufferzone.wordpress.com/

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