Dresdner Gerangel

Zum 75. Jahrestag der Bombardierung Dresdens soll der Bundes­präsident im Kulturpalast sprechen, eine AfD-Veranstaltung muss ins Internet umziehen und linke Gruppen kritisieren sich gegenseitig.

Wer verstehen möchte, warum gerade Dresden seit Jahrzehnten ein wichtiges Zentrum für die extreme Rechte ist, kommt am Opfermythos aufgrund der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg nicht vorbei. Alljährlich zur Weihnachtszeit beginnen die Erzählungen in den Familien und den Regionalzeitungen über den 13. Fe­bruar 1945. Zu mehr oder weniger runden Jahrestagen kommt auch mal der Bundespräsident, um warme Worte zum Leid der deutschen Zivilbevölkerung gegen Ende des Kriegs loszuwerden. Und seit mittlerweile über zehn Jahren fassen sich am 13. Februar Tausende Dresdnerinnen und Dresdner zum Glockengeläut an den Händen. »Die Zukunft stellt viele Herausforderungen an uns, die wir nur als starke Gemeinschaft miteinander lösen können«, heißt es in dem Aufruf zur diesjährigen Menschenkette.


Dieses Mal soll sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in die Menschenkette einreihen. Bereits am Nachmittag soll er bei der Gedenkveranstaltung im Dresdner Kulturpalast eine Rede halten, also an dem Ort, an dem der britische Holocaustleugner David Irving am 13. Februar 1990 vor mehr als 500 Zuhörern seinen Vortrag über den »Untergang Dresdens« hielt. Irving sprach damals von 250 000 Todesopfern sowie dem Beschuss durch Tiefflieger und behauptete, die Bombardierung der Stadt sei militärisch sinnlos gewesen. Die Neonazis, die den Jahrestag der Bombardierung wenige Jahre später als Mobilisierungsanlass nutzten, konnten an Mythen anknüpfen, die in weiten Teilen der Dresdner Bevölkerung als Gemeingut gelten. Anzeige

Seit 1990 hat sich einiges verändert. Es ist nicht zuletzt dem beharrlichen Engagement linksradikaler Gruppen zu verdanken, dass zahlreiche Mythen und Rituale in der Stadt überdacht oder aufgegeben werden mussten. Zudem hat eine unabhängige Historikerkommission vor zehn Jahren ihren Abschlussbericht vorgelegt. Dieser wies nach, dass die Zahl der Toten bei etwa 19 000 Menschen lag und es keine Tieffliegerangriffe gab. Zugleich führten antifaschistische Massenblockaden dazu, dass der Naziaufmarsch deutlich an Bedeutung verlor. Bis zum vorigen Jahr konnte man fast denken, dass sich der 13. Februar bald in sachlichen Debatten und überschaubaren rechten Aufmärsche erschöpfen würde.

Doch die Mythen über Dresden halten sich hartnäckig. So hat sich die AfD seit zwei Jahren an die Spitze derer gesetzt, die eine Versachlichung der Diskussion in Dresden rückgängig machen wollen. Die Partei will am Abend des 13. Februar auf dem Dresdner Altmarkt einen Kranz niederlegen und hatte für den 11. Februar zu einer Veranstaltung mit dem Hobbyhistoriker Gert Bürgel in das Neue Rathaus eingeladen. Bürgel stellt die Ergebnisse der Historikerkommission in Frage und wird auch von Neonazis gern als Quelle herangezogen. Nachdem die Stadtverwaltung die Raumüberlassung wieder zurückge­zogen hat, kündigt die Partei nun an, Bürgels Vortrag per Livestream zu senden. Die ursprüngliche Veranstaltung habe man »auch für die Sicherheit der Teilnehmer« abgesagt, heißt es auf der Facebook-Seite der AfD in Dresden.

Neben der AfD werden auch die Neonazis um den JN-Landesvorsitzenden und stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Maik Müller wieder erfolgreicher. So gelang es den Neonazis im Februar 2019 erstmals seit Jahren, durch die Dresdner Innenstadt zu marschieren. Die Teilnehmerzahl des Aufmarschs reichte im ver­gangenen Jahr wieder an die Tausend heran. Grund genug für »Dresden nazifrei«, sich in diesem Jahr noch einmal neu zu organisieren. Das ehemalige bundesweite Bündnis »Dresden nazifrei« ist auf einen lockeren Verbund von Einzelpersonen geschrumpft und versucht, mit Hilfe eines neuen sachsenweiten Aktionsbündnisses die Organisierung von Protesten gegen den Naziaufmarsch wieder auf mehr Schultern zu verteilen. Neben »Chemnitz nazifrei«, »Leipzig nimmt Platz« sowie zahlreichen linken und antifaschistischen Gruppen gehören auch die Jugendverbände Jusos, Grüne Jugend und die Linksjugend Solid dem Aktionsbündnis an.

Die Stadtratsfraktionen der Parteien Bündnis 90/Die Grünen, »Die Linke« und SPD gehören dagegen der städtischen »Arbeitsgruppe 13. Februar« an, in der ebenso Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) sitzt und alle Fraktionen des Dresdner Stadtrates, inklusive der AfD-Fraktion, vertreten sind. Der Pressesprecher der Stadt Dresden, Kai Schuricht teilte der Jungle World mit, die AfD habe bisher noch nie aktiv in der AG mitgearbeitet. Er bestätigt, dass deshalb bisher kein Mitglied der AG eine Veranlassung gesehen habe, die AfD aus der städtischen Arbeitsgruppe auszuschließen. Die Aufgabe der AG sieht der Moderator des Gremiums, Joachim Klose, einem Interview mit der Sächsischen Zeitung zufolge darin, im Gegensatz zu »Dresden nazifrei« Mittel und Wege gegen rechte Veranstaltungen in der Stadt zu finden, »die ausschließlich friedlich angelegt sind«. Klose ist Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung und hat gemeinsam mit dem wegen seiner Nähe zu rechten Ideen umstrittenen Politikwissenschaftler Wer­ner Patzelt ein Buch über Pegida geschrieben. Für seine Äußerungen wurde Klose von »Dresden nazifrei« scharf kritisiert.

Kritik am Aufruf des von »Dresden nazifrei« initiierten Aktionsbündnisses zum 13. Februar kommt aber auch vom »Antifa-Rechercheteam Dresden« (ART). Das ART wirft dem Aktionsbündnis politische Blindheit vor, da es die AfD in seinem Aufruf nicht erwähne. Zudem bemängelt es, dass das Aktionsbündnis in seinem Aufruf ein Denkmal vor einer Vereinnahmung durch Neonazis schützen wolle, auf dessen Inschrift von »angloamerikanischem Bombenterror« die Rede ist. Kai Maria Schneider von »Dresden nazifrei« weist im Gespräch mit der Jungle World darauf hin, dass das ART zur Mitwirkung im Aktionsbündnis eingeladen war, diese Einladung allerdings nicht angenommen habe. Mit dem »Mahngang Täterspuren« möchte »Dresden nazifrei« bereits am 9. Februar die nationalsozialistische Vergangenheit Dresdens thematisieren. Am 13. Februar wird zu Aktionen gegen die Kranzniederlegung der AfD aufgerufen, bevor es am 15. Februar mindestens zwei Demonstrationen gegen den zentralen Neonaziaufmarsch geben soll.

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