Die schwierige Entnazifizierung in Luzern

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Wir schreiben Kriegsende 1945. Die Luzerner Politik ist entzweit. Während das «Demokratische Säuberungskomitee» auf eine Auseinandersetzung mit den in Luzerner Nazis bestehen, teilen die Konservativen diese Dringlichkeit nicht. Sie behindern die Entnazifizierung, Demonstrationen gegen Nazis werden von der Regierung gar verboten.

Mit dem Kriegsende am 8. Mai 1945 beginnt in Deutschland der Prozess der Entnazifizierung. Doch dieser begrenzt sich nicht nur auf das selbst ausgerufene «Dritte Reich». Auch die neutrale Schweiz ist betroffen.

Doch nicht alle sind vom Aufarbeitungsprozess überzeugt. Bürgerlich-konservative Kräfte stellen sich quer und opponieren gegen die Forderungen der Sozialdemokraten und der Arbeiterparteien. In Luzern wird dies besonders deutlich.

Umgang mit «braunen» Subjekten

Am 1. Mai 1945 lässt der Bundesrat die «NSDAP Landesgruppe Schweiz» und alle angeschlossenen Verbunde per sofort verbieten. In den nächsten Tagen werden Razzien und Hausdurchsuchungen bei mutmasslichen NSDAP-Mitgliedern und Sympathisanten geführt.

In Luzern werden 16 verdächtigte Haushalte durchsucht, zusätzlich zu Razzien im «Deutschen Heim» an der Frankenstrasse 5. Und ihre Strategie zeigt Erfolg. 63 Personen mit Verbindungen zu faschistischen Organisationen werden ausgewiesen. Doch nicht alle unterstützen die Ausweisungspolitik.

Bürgerliche Parteien opponieren gegen Entnazifizierung

Zwischen den Bürgerlichen und den sozialen Parteien tut sich ein Graben auf, der eine geschlossene Konsenspolitik unmöglich macht. Divergierende Vorstellungen bezüglich der Aufarbeitung der Kriegsjahre sind dabei der springende Konfliktpunkt. Die Konservativ-Bürgerlichen pochen auf die Wiederherstellung der Verhältnisse vor dem Krieg, auf einer gesellschaftlichen und politischen Ebene.

Im Gegensatz dazu stehen die Sozialdemokraten und die Partei der Arbeiter, welche eine «Säuberung» der ideologisch verunreinigten Stadt fordern. Dabei verlangen sie die Ausschaffung deutscher Nationalsozialisten mit Wohnsitz in Luzern. Doch auch Schweizer, welche sich mit der faschistischen Ideologie offen identifiziert hatten und eine stärkere Anlehnung ans «Dritte Reich» gefordert hatten, sollen das Land verlassen.

Das «Demokratische Säuberungskomitee»

Um dieses Vorhaben erfolgreich durchzuführen, bildet sich das «Demokratische Säuberungskomitee», welches besonders von Mitgliedern der neugeformten Partei der Arbeit PdA vorangetrieben wird. Die PdA ist in erster Linie ein Sammelbecken für Kommunisten, welche sich nach dem Verbot der Kommunistischen Partei der Schweiz neu formieren. Aber auch Sozialdemokraten und unabhängige Linke befinden sich in den Reihen der Mitglieder.

Doch ihr Vorhaben der Entnazifizierung in Luzern stockt. Der Regierungsrat der Stadt teilt die Vorstellungen des Komitees nicht und behindert diese sogar. Am 15. Mai 1945 versucht der sozialdemokratische Grossrat Fritz Nyfeler aus Kriens, die Position des Regierungsrates einzuholen. Konkret fragt er nach Massnahmen, welche getroffen werden, um den Umtrieben der «Nazis und Faschisten» ein Ende zu setzen.

Dass der Regierungsrat keine Dringlichkeit in der Auseinandersetzung mit seinen rechtsgesinnten Bürgerinnen sieht, wird in der verspäteten Antwort – am 20. Oktober – klar. Es wird nur erklärt, dass die vom Bundesrat veranlassten Ausweisungen im Kanton Luzern noch nicht komplett durchgeführt wurden.

Luzerner Regierung behindert «Säuberungskomitee»

In der Zwischenzeit verhärten sich die Fronten zwischen bürgerlichen und linken Parteien in Luzern immer mehr. Das «Säuberungskomitee» ruft per Flugblatt zu einer Demonstration gegen die noch immer in Luzern verbleibenden Nationalsozialisten auf. Ende Juni 1945 findet die Veranstaltung statt. Jedoch nicht in aller Öffentlichkeit, wie es anfänglich geplant war. Der Stadtrat greift ein und erlässt ein Versammlungsverbot für Kundgebungen im Freien.

Laut ihrer Begründung sei eine öffentliche Demonstration «in der Stadt Luzern nicht üblich». Die Veranstaltung findet dennoch statt. Im Kunsthaus versammelt sich die geschlossene antifaschistische Opposition. Auch das sozialdemokratische Blatt «Freie Innerschweiz» wohnt der Veranstaltung bei.

Die Bürgerlich-Konservativen sehen Rot

Angesichts der wachsenden Einigung der linken Parteien und des Wiedererstarkens einer Arbeiterpartei wie der PdA fühlen sich die Bürgerlich-Konservativen in ihrer Machtposition angegriffen. Der Sozialismus wird als ebenso grosse, wenn nicht sogar grössere Gefahr, als der Faschismus wahrgenommen.

Mitte Juli 1945 erkundigt sich der konservative Departementssekretär und Verantwortliche der Politischen Polizei Josef Isenschmid, ob «es nun nicht auch bald an der Zeit wäre, auch Säuberungskomitees zu bilden(…), die diese Linksextremisten unter die Lupe nähmen».

Nutzniesser des konservativen Aufbegehrens

Auch wenn der Druck einer Ausschaffung hoch ist, so verstehen es einige Gefährdete geschickt, die öffentlich-politische Wahrnehmung zu manipulieren und ihre Exilierung rückgängig zu machen.

Mit der Unterstützung einflussreicher Lokalpolitiker kann sich so mancher bekennende Nationalsozialist aus der Schlinge ziehen. Wohl wissend, dass eine Ausweisung ins besetze Deutschland Komplikationen verspricht, sind Kontakte, welche eine Verbannung rückgängig machen können, heiss begehrt.

Hans Korner hilft Faschisten bei drohender Ausweisung

Einer dieser Kontakte ist der Luzerner Anwalt und Parteisekretär der CVP, Hans Korner. Als überzeugter Antikommunist sieht auch er die Sozialdemokraten als Gefahr. Er vertritt exilierte Nationalsozialisten und kann die Ausweisungsverfügung in einigen Fällen rückgängig machen.

«Und wenn ich noch mehr Söhne hätte, so würde ich auch diese dem Führer opfern.»

Margarethe Reinecke, Ortsgruppenleiterin der «Deutschen Frauenschaft» in Luzern

 Eine seiner Mandantinnen ist Margarethe Reinecke, NSDAP-MItglied und Ortsgruppenleiterin der «Deutschen Frauenschaft» in Luzern. Bei der erdrückenden Beweislast, welche gegen sie vorliegt, gleicht ihr Freispruch einem Wunder. Gegen Ende April 1945 hat sie auf Anweisungen der deutschen Botschaft alle potenziell belastenden Unterlagen vernichtet. Gründlich war sie bei der Vernichtung jedoch nicht vorgegangen.

Freispruch trotz erdrückender Beweise

So werden Briefe gefunden, welche sie mit «Heil Hitler» unterzeichnet hatte. Auch tauchen insgesamt 10, mit dem Hakenkreuz verzierte Abzeichen auf. Als ob diese Memorabilien nicht genügen würden, um ihre faschistische Ideologie zu verdeutlichen, ergänzt sie den Tatverdacht noch mit einem grotesken Zitat: «Und wenn ich noch mehr Söhne hätte, so würde ich auch diese dem Führer opfern.» Diese Aussage kreuzt sich mit ihrer Behauptung, nur Frauenschaftsleiterin in der deutschen Frauenschaft gewesen zu sein, um das Wohl ihrer Söhne zu fördern. WERBUNG

Hier lässt Hans Korner seinen «Zauber» wirken. Den Verdacht gegen Reinecke weiss er zu entkräften, indem er Referenzen von Regierungsräten, Gemeindebehörden und Pfarrherren einholt. Mithilfe seiner Beziehungen kann er die Ausweisungsverfügung rückgängig machen. Der Bundesrat beschliesst den Freispruch im November 1945. Die Bundesanwaltschaft hatte bereits im August erklärt, dass die von Reinecke getätigte Aussage bezüglich ihrer Söhne gegenstandslos hinsichtlich des Prozesses sei.

Waldemar Pabst, Auftraggeber des Mordes an Rosa Luxemburg

Die Ausmasse des öffentlichen Diskurses um die Abschiebung bekennender Faschisten zeigt sich am Beispiel Waldemar Pabst.

Pabst eine eindeutige Berufsbezeichnung zuzuschreiben, ist schwierig, überdeutlich ist allerdings seine politische Gesinnung. Er ist überzeugter Antidemokrat und Faschist. Als Veteran des Ersten Weltkriegs hatte er erheblichen Einfluss auf die deutsche Politik der Nachkriegszeit. Als Angehöriger verschiedener paramilitärischer «Freikorps», ging er gewaltsam gegen die sich entwickelnde Weimarer Republik vor.

Berüchtigt wird er durch seine Teilnahme am Mord von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, den er persönlich in Auftrag gegeben hat, wie er später gesteht. Während des Zweiten Weltkriegs übt er verschiedene Ämter aus. In der Schweiz hält er sich als selbstständiger Waffenhändler auf, um Rüstungsmaterialien für die «Wehrmacht» zu besorgen. 1943 emigriert Pabst endgültig in die Schweiz und wird neben seiner Position als Aufrüster auch als Wirtschaftsspion tätig.

Pabst hatte 1919 die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht veranlasst.
Pabst hatte 1919 die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht veranlasst. (Bild: Bundesarchiv_Bild_183-2005-0413-500)

Prominente Unterstützung durch Nationalrat und «Vaterland»

Hinsichtlich seines offenkundigen Hasses auf jegliche sozialistische Ausprägungen, überrascht es kaum, dass die politische Linke in Luzern entsetzt über seinen Aufenthalt in ihrer Stadt ist. Die bereits angesprochene sozialdemokratische Zeitung «Freie Innerschweiz» berichtet: «Dass aber in der gleichen Stadt, wo es den Flüchtlingen verboten wurde, an der Quaipromenade zu spazieren und sich dort auf ein Bänklein zu setzen, ein Fememörder unter wohlwollender Billigung der Polizei frei herumläuft, das ist ein Skandal, den sich das Luzerner Volk nicht länger gefallen lassen kann.» WERBUNG

Trotz des Drängens von CVP-Regierungsrat Hans Felber und des Bundesrats Eduard von Steiniger auf eine Ausweisung Pabsts kann dieser seine Ausschaffung immer wieder hinausschieben. Denn ähnlich wie bei Margarethe Reinecke hat auch Pabst einen einflussreichen Fürsprecher. Karl Wick, katholischer Nationalrat Luzerns und Redaktor der konservativen Zeitung «Vaterland» setzt sich wiederholt für den Verbleib Pabsts ein. Zu gross sei sein Nutzen für die Schweiz in den Kriegsjahren gewesen. Pabst hatte ein Verfahren zur Herstellung von Stahlgranaten in die Schweiz gebracht. Eine zu würdigende Tat, so die Rechtfertigung Wicks.

Solidarisierung mit Nationalsozialisten

Wick greift die Linke und ihr «Säuberungskomitee» an, unterstellt ihnen «gemeine Hetze» im Verfahren gegen Pabst. Im Mai 1946 kommt es im Luzerner Grossrat zur «Säuberungsdebatte». Inhalt ist der Umgang mit den verbliebenden Nationalsozialisten. Auch Pabsts Zukunft wird thematisiert. Karl Wick spielt den Advokaten und unterstreicht sein Argument, dass Pabst ein Opfer linker Hetze sei. Die Aufarbeitung der Geschehnisse lehnt Wick bestimmt ab, behauptet, dass diese nur ein Vorwand der Linken sei, um die staatliche Autorität zu untergraben und eine Staatskrise heraufzubeschwören.

Und die Methode hat Erfolg. Die bürgerlich-konservative Ablehnung gegen eine gründliche Entnazifizierung fasst Fuss in der Annahme, dass die Aufarbeitung nur ein Vorwand der Sozialisten sei, um den Staat zu untergraben.

Politisches Asyl für Nazis

Waldemar Pabst darf in der Schweiz bleiben. Erst 1955 migriert er wieder nach Deutschland. In der Zwischenzeit führt er ein unbehelligtes Leben, investiert in einige Firmen und unterhält seine Kontakte in die Waffenindustrie.

Ermöglicht durch Menschen wie Karl Wick und Hans Korner können einige Nationalsozialisten weiterhin politisches Asyl beziehen. Angesichts des Aufarbeitungswillens der sozialistischen Parteien stellen sich die Bürgerlichen quer. Mithilfe von beachtlicher Ignoranz gewähren sie Kriegsverbrechern Asyl. Und gestehen der Nachwelt damit ihre Schuld.

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