Stinkefinger für Orbán

Trotz Einschüchterungen der Regierung hat die diesjährige Pride in der ungarischen Hauptstadt Budapest eine Rekordzahl an Menschen angezogen. Sie richtete sich nicht nur gegen die Diskriminierung der LGBT-Minderheit, sondern auch gegen den autoritären Kurs von Ministerpräsident Viktor Orbán.

Budapest. Es war abzusehen, dass die diesjährige Budapest Pride größer ausfallen würde als in den vergangenen 29 Jahren ihres Bestehens. Die Veranstalter hatten mit der doppelten Anzahl der sonst üblichen 35.000 Teilnehmenden gerechnet.

Die Realität übertraf diese Annahme bei weitem. Schätzungen zufolge nahmen am vergangenen Samstag etwa 200.000 Menschen teil, womit die diesjährige Pride die wahrscheinlich größte Demonstration in der Geschichte des Landes seit 1989 gewesen sein dürfte. Vorschnell hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in seiner Rede zur Lage der Nation im Februar den Organisatoren der Pride noch geraten, »sich keine Mühe zu machen, die diesjährige Parade vorzubereiten. Es ist nur Geld- und Zeitverschwendung.«

»Die Pride war nie von Interesse für uns, das ist nicht unsere Welt. Das Vorgehen von Viktor und seinen Mitstreitern überschreitet jedoch klar eine Grenze.« Ein Ehepaar auf der Pride

Der vehement betriebene Kulturkampf gegen LGBT-Rechte dient Orbán nicht zuletzt auch dazu, von anderen Problemen wie der desolaten Wirtschaft, der hohen Inflation, der Korruption oder dem Kollaps des Gesundheitswesens abzulenken. Zudem hoffte Orbán, durch diesen Kulturkampf die Opposition zu spalten. Hätte sein gefährlichster Herausforderer, Péter Magyar, sich an die Seite der LGBT-Gemeinde gestellt, hätte er dadurch konservative Wähler verschrecken können. Wohl deshalb hielt Magyar sich bedeckt. Verschiedenen Umfragen zufolge liegt seine Partei Tisza in der Wählergunst elf bis 18 Prozentpunkte vor Orbáns Fidesz.

Schon Mitte März hat das Parlament in Windeseile eine Gesetzesänderung durchgewinkt, die Kundgebungen untersagt, die »Abweichungen vom Geburtsgeschlecht, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität fördern oder zur Schau stellen«. Darauf reagierte Gergely Karácsony, der liberal-grüne Oberbürgermeister der Hauptstadt, prompt. »Es wird eine Pride in Budapest geben«, versprach er und erklärte die Demonstration unter dem Namen »Budapest Pride« zu einer städtischen Veranstaltung, die Freiheit und Gleichberechtigung feiere. Als solche erfordere sie keine Genehmigung durch die Polizei.

Justizminister Bence Tuzson widersprach Karácsonys Sichtweise. Er drohte ihm und weiteren Organisatoren sogar eine einjährige Haftstrafe an. Der Bürgermeister reagierte gelassen, er nannte den Einschüchterungsversuch Tuzsons »witzig« und empfahl dem Minister, die Gesetzeslage eingehend zu studieren.

Es geht um die Freiheit

Auch das angekündigte Bußgeld von 500 Euro für Teilnehmer – gut die Hälfte eines durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens in Ungarn – erzielte nicht die gewünschte abschreckende Wirkung, sondern provozierte im Gegenteil landes- bis europaweite Solidarität. Etwa 70 Abgeordnete des EU-Parlaments und zwei Dutzend Bürgermeister verschiedener europäischer Städte nahmen teil.

Die diesjährige Pride war viel mehr als die übliche regenbogenfarbige Party von Angehörigen und Unterstützern der LGBT-Szene. Ein älteres Ehepaar, das namentlich nicht genannt werden will, brachte die Meinung vieler zum Ausdruck: »Die Pride war nie von Interesse für uns, das ist nicht unsere Welt. Das Vorgehen von Viktor und seinen Mitstreitern überschreitet jedoch klar eine Grenze.« Und sie fügten hinzu: »Es geht hier nicht nur um die Rechte der LGBT-Menschen, sondern auch um unser aller Freiheit.«

Kurz vor der Pride hatte Orbán die Drohrhetorik etwas gemäßigt. In seinem wöchentlichen Interview im Staatsradio tat er kund, dass die Polizei nicht eingreifen werde. Selbstverständlich bestehe die Möglichkeit, die illegale Veranstaltung aufzulösen, aber Ungarn sei ein zivilisiertes Land und man werde sich gegenseitig nichts antun.

»Zum europäischen König der Pride gekrönt«

Ein paar rechtsextreme Gruppierungen sahen das anders. Sie versuchten sich an einer Blockade der geplanten Route, doch die Polizei riegelte die Blockierer ab und leitete den Demonstrationszug kurzfristig um. Die Handvoll Gegendemons­tranten konnte den ausgelassen Feiernden nur noch von der Seitenlinie aus verärgert zuschauen.

Karácsony stellte in seiner Rede auf der Pride zufrieden fest: »Ihr seht nicht gerade so aus, als ob man euch verboten hätte«, und forderte das Publikum auf, der Regierung den Stinkefinger zu zeigen.

Oppositionsführer Magyar schrieb auf Facebook: »Gestern wurde Viktor Orbán zum europäischen König der Pride gekrönt, denn niemandem sonst ist es gelungen, durch Hassreden und Aufwiegelung eine so große Menschenmenge gegen sich zu mobilisieren, die zu einer Demonstration zusammenkommt.«

Quelle: https://jungle.world/artikel/2025/27/budapeste-pride-stinkefinger-fuer-orban

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