Neiderfüllter Blick nach Norden

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Französische Rechtsextreme haben die große rechtsextreme Londoner Demonstration vom 13. September besucht; einige versuchen, ein Referendum gegen Einwanderung durchzusetzen.


Im September blickten manche Franzosen – vor allem nationalistisch gesinnte – neiderfüllt nach Großbritannien. Der Grund war die rechtsextreme Londoner Demonstration gegen Einwanderung vom 13. September, die je nach Angaben zwischen 110.000 und 150.000 Menschen versammelte.

Am Nachmittag des darauffolgenden Tags fand im »Atlantikpalast 2« von Bordeaux eine politische Großveranstaltung von Marine Le Pen und Jordan Bardella statt – der Fraktions- und des Parteivorsitzenden des rechtsextremen Rassemblement national (RN). Der Anlass war die rentrée, der Neubeginn des Arbeits-, Schul- und Studienjahrs nach der Sommerpause. Dort äußerten sich eine Reihe der daran Beteiligten im Sinne des Londoner Aufmarsches.

Der RN war nicht offiziell bei der von der außerparlamentarischen extremen Rechten um Stephen Yaxley-Lennon (der unter dem Pseudonym »Tommy Robinson« auftritt) organisierten Demons­tration vertreten, ebenso wenig wie die britische Partei Reform UK von Nigel Farage; RN wie Reform UK sind bemüht, sich als respektabel darzustellen, um an die politische Macht zu gelangen. Éric Zemmour dagegen, der Gründer der rechtsextremen Kleinpartei Reconquête, der bei der Präsidentschaftswahl 2022 unter anderem gegen Marine Le Pen kandidierte, hatte mit seinem Parteisprecher Jean Messiha die Reise nach London angetreten und war dort als prominenter Redner aufgetreten.

Angeblich unterzeichneten bis Montag fast 1,7 Millionen Menschen die Petition für ein Referendum gegen Einwanderung, allerdings waren Mehrfachunterschriften möglich.

Diese Dichotomie, die eher eine Arbeitsteilung denn eine inhaltliche Differenz darstellt, spiegelt sich auch im Umgang mit der derzeit erfolgreichsten Initiative der extremen Rechten in Frankreich wieder: der von viel Publicity begleiteten, am 7. September publik gemachten Initiative für ein »Referendum zur Einwanderung«. Es geht um deren Beschränkung oder Ablehnung, allerdings ist unklar, welche Frage im Falle eines Erfolgs der Initiative eigentlich zur Abstimmung vorgelegt werden soll.

Angeblich erhielt die Petition zum Thema bis Montag fast 1,7 Millionen Unterschriften. Rechtsextreme vergleichen ihren Erfolg mit dem der Petition gegen Pestizide und das antiökologische Gesetz Loi Duplomb im Sommer, die innerhalb kurzer Zeit über zwei Millionen Unterschriften erhielt; Mitte voriger Woche beschloss die Nationalversammlung, dass deren Inhalt nun im Par­lament debattiert werden muss.

Doch während die Unterzeichner der Petition gegen die Loi Duplomb sich auf der Website der Nationalversammlung mit ihrer Steuernummer identifizieren mussten und daher Mehrfachunterschriften ausgeschlossen waren, gibt es bei jener gegen Einwanderung keinen Kontrollmechanismus, der verhindert, dass eine Person gleich mehrfach zustimmt. Auch muss eine Person, deren E-Mail-Adresse angegeben ist, ihre Unterstützung nicht mit einer Unterschrift oder per Kontroll-SMS bestätigen. Wer also die persönliche E-Mail-Adresse beispielsweise von Emmanuel Macron kennt, könnte mit dieser und in dessen Namen der Petition zustimmen.

Philippe de Villiers und der »Populicide«

Als Erster, der die Initiative propagierte, war der rechtskatholische und -nationale ehemalige Europaparlamentarier Philippe de Villiers. Nachdem er zweimal erfolglos für die Präsidentschaft kandidiert hatte – 1995 erhielt er 4,7 Prozent und 2007 2,2 Prozent der Stimmen –, unterstützte er 2022 die Bewerbung Zemmours.

Im Oktober kommt sein apokalyptisch aufgemachtes Buch »Populicide« (etwa: Volksmord) in den Handel. Ein Interview zu dem Werk erschien Anfang September auf der Titelseite der Sonntagszeitung JDD, die vor drei Jahren vom Medienkonzern des zwischen Konservativen und Rechtsextremen stehenden Multimilliardärs Vincent Bolloré übernommenen worden war und seither zum Flaggschiff des rechten Kulturkampfs im Printmedienbereich ausgebaut wurde.

Dabei wurde auch die Petition bekannt gemacht und Werbung für sie lanciert. Seitdem ist diese Dauerthema beim JDD wie auch bei den Bolloré gehörenden Privatfernseh- und Radiosendern CNews und Europe 1. Zu den prominentesten Unterzeichnern zählen bislang, neben de Villiers selbst, Zemmour sowie seine Parteikollegin, die Europaparlamentarierin Sarah Knafo.

Ablehnung bei Les Républicains bröckelt 

Hingegen gesellten sich ihnen bislang weder Angehörige der Parteiprominenz des RN noch solche der konservativen Partei Les Républicains (LR) hinzu, obwohl die Wählerschaft beider Parteien von der Initiative angesprochen sein dürfte. Beide befürchten, die Kontrolle über ein Thema zu verlieren, das ihnen in Wahlkämpfen teuer ist. Allerdings beginnt die Ablehnung insbesondere bei LR zu bröckeln. So verkündete der konservative Regionalpräsident in Lyon, Laurent Wauquiez, am 14. September über den Microblogging-Dienst X: »Ich habe die Petition für ein Referendum zur Immigration unterzeichnet. Und Sie?«

Wauquiez unterlag Mitte Mai bei einer innerparteilichen Urabstimmung über den LR-Parteivorsitz dem Innenminister Bruno Retailleau und scheint derzeit versucht, diesen noch rechts zu überholen. So spricht sich Wauquiez derzeit für eine Vorwahl für die Präsidentschaftskandidatur 2027 aus, wobei nicht nur die Mitgliedschaft von LR teilnehmen soll, sondern eine Wählerschaft »von Gérald Darmanin bis Sarah Knafo«; möglicherweise schwebt ihm so etwas wie die US-amerikanischen primaries vor. Darmanin ist Macrons früherer Innen- und jetziger Justiz­minister, Knafo gehört, wie erwähnt, Reconquête an.

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