London Riots Calling: The Guns of Tottenham

Soziale Unruhen in London – Nach dem gewaltsamen Tod eines 29-jährigen während eines Polizeieinsatzes am vergangenen Donnerstag kommt es zu massiven Unruhen am gestrigen Samstag im Londoner Stadtteil “Tottenham”. Erste Presse/Polizeimeldungen sprachen von einem Schusswechsel, bei dem 2 Schüsse abgefeuert wurden – Neueste Meldungen des “Guardian” (große Tageszeitung in GB) widersprechen der Polizeiversion. Währen dessen bahnen sich erneut Unruhen am heutigen Tag und vor allem in der Nacht an.

Nachdem die Unruhen im Anschluss an einen Trauermarsch von Angehörigen und Bewohnern ausbrachen, brannte es an zahlreichen Orten in Tottenham. Es wurden mehrere Autos (darunter auch Polizeiwagen), ein großer Reisebus sowie einige Gebäude angezündet und z. T. auch geplündert. Die Bilder aus den Massenmedien zeigen ein großes Ausmaß der Zerstörung und viele wütende, z. T. maskierte Jugendliche, die sich Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern. Man fühlt sich unweigerlich an den April 1992 in Los Angeles erinnert: dort brachen massive Unruhen aus, nachdem Polizisten einen Afroamerikaner brutal zusammenschlugen und daraufhin freigesprochen wurden – damals gab es ca. 1 Milliarde Dollar Sachschaden und 53 Tote. Aber auch in Europa, z. B. in Frankreich kam es in der Vergangenheit immer wieder zu sozialen Unruhen in Folge von tödlichen Polizeieinsätzen. Wie wird also die Entwicklung in London weitergehen?

Die Bilanz der letzten Nacht und des heutigen Tages: 55 Festnahmen (davon 42 am Samstag) und 26 verletzte Polizisten (min. 8 davon in stationärer Behandlung) . Im Laufe des heutigen Sonntags gab es vereinzelte Auseinandersetzungen und Plünderungsversuche, die aber keineswegs das gestrige Ausmaß erzielten.

Wie der Guardian im Liveticker berichtet ( http://www.guardian.co.uk/uk/blog/2011/aug/07/tottenham-riots-police-duggan-live), wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt „nur“ ein Juwelier und eine Apotheke sozusagen „neu“ geplündert. Die Polizeipräsenz ist sehr massiv im betroffenen Stadtteil, die soziale Kontrolle funktioniert also wieder besser als gestern. Trotzdem werden die neuesten Entwicklungen in der Untersuchung des tödlichen Polizeieinsatzes für ein weiteres befeuern des Konflikts sorgen. In England gibt es nämlich eine unabhängige Institution, welche strittige Polizeieinsätze/verhalten untersucht: die „Independent Police Complaints Commission (IPCC)“. Diese hat umfassende rechtliche Mittel, um Beschwerden gegen die Polizei zu untersuchen und wird nicht von (ehemaligen) Polizisten geleitet. Die Kommission kommt nach ersten ballistischen Untersuchungen zum Urteil: die Kugel, die das Funkgerät eines Polizisten traf, ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Polizeikugel – somit ist die Darstellung der Polizei, es handle sich bei der Kugel im Funkgerät um die welche das Opfer abgeschossen haben solle, wohl hinfällig. Im Klartext: der Polizist wurde nicht vom 29-jährigen Opfer Mark Duggan angeschossen , alles weitere bleibt vorerst Spekulation.

Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass die Polizei den Polizeieinsatz falsch dargestellt hat und dem Todesopfer die Verantwortung für die „Schießerei“ gegeben hat. Solche (bewusste?) Falschmeldung kennen wir ja auch bereits zu genüge aus Deutschland – Mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir hier keine unabhängige Institution haben, die Polizeieinsätze untersuchen kann!

Diese erste Untersuchung wird also den wütenden Menschen einen zusätzlichen Grund geben sich an weiteren sozialen Unruhen zu beteiligen. Die Hauptgründe werden jedoch nicht beim Polizeieinsatz zu finden sein, dieser stellt wahrscheinlich nur ein Ventil für die angestaute Wut dar. Vielmehr haben die Einwohner Londons mit den Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu kämpfen. Gerade die an den Auseinandersetzungen zahlreich beteiligten Migranten sind in der britischen Gesellschaft am stärksten diskriminiert und sozial ausgegrenzt. Auch ohne die Wirtschaftskrise sind ihre Perspektiven schon limitiert, mit der selbigen jedoch weiter verschärft. Ihre Wut richtet sich vor allem gegen Sachen, nicht in erster Linie gegen die Polizei – dies belegt die geringe Anzahl an Verletzten und Festgenommen und die hohe Anzahl an Plünderungen und Gebäudebränden. Ob es dabei bleibt wird sich zeigen…

(Noch) nicht beteiligt sind andere gesellschaftliche Gruppen die in England in der j
jüngsten Zeit „sozial unruhig“ waren – da wäre zum einen die „anti-cuts“ Bewegung der Studenten und Schüler, welche durchaus viele versch. direkte Aktionsformen in den vergangen Monaten anwandte, in letzter Zeit aber nicht mehr so viel Aufmerksamkeit erzeugen konnte. Zum anderen gab es erst kürzlich einen großen gewerkschaftlichen Streik in England, an dem sich Zentausende beteiligten. Würden diese Gruppen ihre (vermeintlichen) Unterschiede zugunsten ihrer Gemeinsamkeiten im Kampf gegen die soziale Kontrolle, ungerechter Güterverteilung/Belastung durch Studiengebühren und Steuern sowie Diskriminierung (um nur einige zu nennen) des kapitalistischen Systems hinter sich lassen, so stünde Großbritannien wohl ein heißer Sommer und Herbst bevor. Gelingt es auf der anderen Seite dem Staat und den Medien die Menschen wie bisher als „Krawallmacher“ und „friedliche Demonstranten“ auseinander zu dividieren so war dies nur ein kurzes „Aufflackern“ gegen die soziale Kontrolle – To be continued…

Quelle: http://ch.indymedia.org/de/2011/08/82836.shtml

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