Anschlag auf unsere Bundesverfassung

Bern, 28.11.2010
Medienmitteilung des Komitees 2xNEIN gegen die SVP-Ausschaffungsinitiative und den Gegenvorschlag

Die Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative ist ein Anschlag auf unsere Bundesverfassung:
Nach der Verwahrungsinitiative, dem Verjährungsverbot für Sexualdelikte an Kindern und dem Minarettverbot steht nun ein weiterer Artikel in der Verfassung, der ihren Grundwerten radikal widerspricht. Dieser Schlag ist der bisher schwerste: Er denunziert ein Fünftel der Bevölkerung unseres Landes als potentielle Verbrecher und Schmarotzer. Menschen ohne Schweizerpass werden unter das Regime eines Sonderstrafrechts gestellt; für sie gilt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht mehr.

Mit gezielter Falschinformation («Ivan S., Vergewaltiger, bald Schweizer?») und einem Millionenbudget hat die SVP ihr ewiges Wahlkampfthema Ausländerfeindlichkeit ein weiteres Mal zum Erfolg gebracht. Dass es nur ein knapper Erfolg war ist ein schwacher Trost. Die Verantwortung für dieses Verfassungsdebakel tragen in erster Linie die Mitteparteien FDP und CVP und Teile der SP. Sie haben mit dem so genannten Gegenvorschlag Wasser auf die Mühlen der SVP geleitet. Damit gaukelten sie den Stimmbürgern vor, das Recht müsse verschärft werden. Dabei wussten die Gegenvorschläger genau, dass unter dem geltenden Recht sich bereits eine harte Ausschaffungspraxis etabliert hatte. Von Anfang an hat das 2xNein-Komitee gewarnt, das Stimmvolk werde im Zweifelsfall das Original der SVP-Initiative und nicht die leicht abgeschwächte Kopie des Gegenvorschlags annehmen. Leider haben wir Recht behalten.

Das 2xNein-Komitee erwartet nun vom Parlament, das Ausschaffungsgesetz so eng wie möglich einzugrenzen. Insbesondere darf nicht die Erweiterung des Strafenkatalogs aus dem Gegenvorschlag übernommen werden.
Die im 2xNein-Komitee zusammengeschlossenen Organisationen rufen das Parlament auf, nun endlich Schranken gegen weitere Anschläge auf die Grundwerte der Verfassung zu errichten.

Volksinitiativen, die gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht verstossen, müssen vor der Unterschriftensammlung für ungültig erklärt werden können. Es ist Zeit, unsere Bundesverfassung vor ihren Zerstörern zu schützen!

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Ein letzter Aufruf zur Abstimmung am Sonntag

Nicht ducken, nicht treten
Von Kaspar Surber

Schafe werden rausgekickt, Kühe guillotiniert, Gänse geschlachtet. Kantonsflaggen gehen in Flammen auf. Ivan S., der Vergewaltiger, und Detlef S., der Kinderschänder, lauern hinter jedem Haus. Fährt man durchs Mittelland, droht auf den Plakaten die Apokalypse.

Die Propaganda und die Paranoia von Wirtschaftslobby und Rechtspopulisten haben diesen Herbst in der Schweiz einen neuen Höhepunkt erreicht. Als die WOZ vor einigen Wochen die Economiesuisse-Zentrale besuchte, sprach man dort von einer «mittleren Kampagne» gegen die Steuergerechtigkeitsinitiative, die über vier Millionen Franken koste. Nachdem das Föderalismusargument nicht zog, behauptete der Wirtschaftsverband später, die Vorlage treffe auch den Mittelstand. Regierungsräte und sogenannte Patrons liessen sich für Drohungen einspannen. Die Kampagne dürfte längst das Doppelte oder Dreifache gekostet haben.

Über die Finanzierung der SVP-Werbung ist wie immer nichts bekannt. Stattdessen soll kurz daran erinnert werden, worüber bei der Ausschaffungsinitiative auch abgestimmt wird: über SVP-Werbung, nämlich über den Wahlkampf der Partei 2007. Für die hingepfuschte Initiative mit ihrem belämmerten Marketing wurden damals die Unterschriften gesammelt. Es nützte nichts: Christoph Blocher wurde zu Recht aus dem Bundesrat abgewählt. Der Milliardär ist weg, aber sein Spuk ist immer noch da.

Was bleibt: nicht vergessen, abstimmen zu gehen. Und das weiterzusagen. Den Nachbar­Innen, den KollegInnen in der Schule und im Beruf, den FreundInnen an der Bar und im Facebook. Last Call: Die Schweiz ist ein neofeudaler Staat. Hundert Personen besitzen so viel wie drei Viertel der übrigen Steuerpflichtigen. Der Steuerwettbewerb treibt die Mieten hoch und zerstört die Landschaft. Last Call: Der Gegenvorschlag ist so verheerend wie die Ausschaffungsinitiative selbst. In vorauseilendem Gehorsam macht er fremdenfeindliches Denken verfassungskonform.

Die Steuergerechtigkeits- und die Ausschaffungsdiskussion haben durchaus miteinander zu tun. Es geht darum, ob man sich gegen oben duckt und nach unten tritt. Oder ob man sich eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft vorstellen kann.

Deshalb zweimal Nein und einmal Ja am kommenden Sonntag. Auch weil es ein Zeichen ist gegen die geschürte Angst. Weil man dann neue Fragen stellen könnte: beispielsweise nach einer Einschränkung der Kampagnenfinanzierung. Bis dahin: Macht eure Stimmen zu Lautsprechern! Bewahrt allseits den Kopf klar und die Zuversicht.

Quelle: WOZ vom 25.11.2010

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Feminizid in Oaxaca

Straflosigkeit und Staatsverbrechen an Frauen
Ein Text von Theres Hoechli

„Donnerstag, 16. April 2009, ich starte den Tag mit der schaurigen Zeitungsnotiz: ‚Wieder eine Frau getötet!’, die dritte in diesem Monat und bereits die 18. in diesem Jahr. Weinen, sich entrüsten oder resignieren, was mehr kann man tun? Was tun, wenn die Presse diesen Opfern noch einmal mehr Gewalt antut, indem sie sie auf der Kehrseite der Zeitung oder in den Fernsehnachrichten blutig der Öffentlichkeit präsentieren? Nayely Gonzalez war 24 Jahre alt, Mutter eines Kindes. Ihren Körper fand man in einer Schlucht, nachdem sie für einen Tag als vermisst gegolten hatte. Vom Mörder weiss man nichts.

Ich begleite die verzweifelte Familie zur Staatsanwaltschaft, um um mehr Information zu bitten. Der Staatsanwalt kann uns jedoch nicht mehr sagen, als in der Zeitung steht: elf Stichwunden, eine davon tödlich im Hals, heraustretende Eingeweide, vermutlich wurde sie vor ihrem Tod vergewaltigt. Weder über den Mörder noch über das Handlungsmotiv kann er Auskunft geben. Nichts, weil die Gutachten nicht richtig eingereicht wurden. Bis heute gibt es keine weiteren Untersuchungen und der Fall bleibt in völliger Straflosigkeit. Bis Ende des Jahres 2009 sind noch weitere 40 Frauen ermordet worden, deren Familien Gerechtigkeit für ihre Toten fordern.“

Dies die Worte von Anabel, einer Oaxaquenerin, die sich seit Jahren für die Frauenrechte einsetzt, und ohnmächtig und wütend die steigende Anzahl ermordeter Frauen beobachtet. Morde, die verhindert werden könnten, wenn die Regierung und zuständigen Behörden ein wirkliches Interesse daran hätten, das Leben der Frauen in Oaxaca zu schützen und ihnen mehr Sicherheit zu geben und wenn die Täter verfolgt und angemessen bestraft würden.

Oaxaca ist ein gefährlicher Ort für Frauen, wenn man die Statistiken betrachtet. Der Bundesstaat hat die vierthöchste Rate an Frauenmorden in Mexiko und auch bei weiteren Formen von Gewalt an Frauen, sexuelle, physische und psychische, liegt er unter den ersten fünf Rängen. In elf der 31 Bundesstaaten Mexikos spricht man von Feminizid, Oaxaca ist einer davon. Die mexikanische Feministin und Abgeordnete Marcela Lagarde hat den Begriff “Feminizid” wie folgt definiert: „Feminizid ist die Gesamtheit von frauenfeindlichen Umständen und Vorfällen. … Feminizid geschieht, weil die zuständigen Autoritäten nachlässig und fahrlässig sind oder mit den Gewalttätern unter einer Decke stecken. Es wird institutionelle Gewalt ausgeübt, wenn der Zugang der Opfer zur Justiz behindert und somit zur Straflosigkeit beigetragen wird. … Der Staat versagt darin, im Rahmen des Gesetzes zu handeln und es durchzusetzen, Gerechtigkeit zu suchen und der Gewalt gegen Frauen vorzubeugen und diese Gewalt zu beenden. Feminizid ist also ein staatliches Verbrechen.“

Das Kollektiv Huaxyacac, das aus verschiedenen Frauenorganisationen Oaxacas besteht, hat im Jahr 2004 begonnen den Feminizid, in Oaxaca zu dokumentieren. Da die zuständigen Institutionen verhindern, offizielle Zahlen zu erhalten, wurden entsprechende Zeitungsnotizen gesammelt und ausgewertet. Die so dokumentierten Zahlen liegen weit unter der wirklichen Anzahl vergangener Verbrechen an Frauen, von denen viele nicht einmal angezeigt werden, geschweige denn in der Zeitung erscheinen.

Anfang dieses Jahres gab das Kollektiv den Bericht 2008/09 „Feminizid in Oaxaca, Straflosigkeit und Staatsverbrechen an den Frauen“ heraus, der neben Frauenmorden auch Fälle von innerfamiliärer und sexueller Gewalt und verschwundenen Frauen zählt und die institutionelle Gewalt thematisiert. Der Bericht mit harten Zahlen und Fakten soll aufzeigen, in welcher Schuld die Regierung Oaxacas, wie auch Mexikos, bei den Frauen steht.

Die Zahlen sind erschütternd. In den zwei untersuchten Jahren kam es zu 101 Morden an Frauen. Dabei stieg die Anzahl vom Jahr 2008 zum Jahr 2009 um 35%, wie auch die Fälle von sexueller Gewalt. In den letzten zwei Monaten kam es allein in der Mixteca, einer Region Oaxacas, zu fünf Ermordungen, wobei es sich bei den Tätern in allen Fällen um Familienmitglieder handelt; Ehemänner, Schwiegersöhne oder der Vater. Die häusliche Gewalt ist die weitaus meist verbreitete und Oaxaca liegt auf erstem Rang nationalweit. Glücklicherweise gipfelt es in den meisten Fällen nicht in einem Mord, doch die psychische und emotionale Dauerbelastung der Frauen ist enorm. Laut offizieller Umfrage litt in Oaxaca jede zweite Frau mindestens einmal in ihrer momentanen Partnerschaft unter Gewalt, sei es physische, sexuelle, psychische oder finanzielle.

„Nach dem ersten Schlag bat er mich um Entschuldigung und natürlich musste ich mich ihm beugen. Er tat, wie wenn nichts geschehen wäre, liess mich aber nicht mehr mit seiner Familie sprechen und erst recht nicht mit der meinen.“

Oaxaca liegt im Süden Mexikos und ist einer der ärmsten Bundesstaaten des Landes. Viele der ländlichen Gemeinden leben in grösster Marginalisierung mit wenig Zugang zu Bildung, Erwerbsarbeit und einem funktionierenden Gesundheitssystem. Oaxaca weist die höchste Rate von Tod im Kindsbett auf. Dies ist ein weiteres Indiz für den Feminizid, da diese Tode verhindert werden könnten. Jährlich sterben Frauen während der Schwangerschaft oder beim Gebären, da sie keinen Zugang zu einem Gesundheitszentrum haben oder dieses schlecht ausgebildetes Personal hat.

Die Frauen sind von der Armut umso härter betroffen, als sie zudem in einer patriarchalischen und machistischen Gesellschaftsstruktur leben und Diskriminierung in der Gemeinschaft erfahren, die sie in ihrer persönlichen Freiheit und Entwicklung einschränken. Gewalt gegenüber Frauen wird toleriert, welche sich oft nicht bewusst sind, dass sie ein Recht auf ein gewaltfreies Leben haben. Viele Organisationen in Oaxaca arbeiten daran, den Frauen ihre Rechte zu vermitteln und sie soweit zu stärken, dass sie sich dafür einsetzen und sie verteidigen können. Ein Beispiel ist ein Diplomkurs, in dem 28 Frauen aus verschiedenen indigenen Gemeinden zu juristischen Mentorinnen ausgebildet wurden (siehe unten).

In Mexiko und besonders in Oaxaca befindet sich der Rechtsstaat in einer schweren Krise. Rechtliche Mittel greifen nicht, Korruption, Straflosigkeit von Gewalttaten, Repression von sozialen Bewegungen und Protesten sind an der Tagesordnung. In den Fällen von Gewalt gegenüber Frauen zeigt sich zudem ein Desinteresse der meist männlichen Beamten, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und den Feminizid mit Präventionsarbeit zu bekämpfen. Mit jeder ungestraften Gewalttat zeigen sie sich einverstanden damit und geben freies Feld für weitere Gewalt.

Seit Februar 2009 gibt es in Oaxaca zwar ein Gesetz für das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben, aber es fehlen die entsprechenden Ausführungsbestimmungen, ohne die das Gesetz nicht wirksam ist. Es fehlt zum Beispiel eine entsprechende Gesetzgebung zum Schutz von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Vor allem Opfer familiärer Gewalt sind in Gefahr, da die wenigen Täter, die überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden, oft mit einer kleinen Geldbusse wieder nach Hause, zu Frau und Kindern, geschickt werden. Die Straflosigkeit gerade für Delikte an Frauen ist hoch. Viele reichen keine Klage ein, weil sie den Behörden nicht trauen, und von den wenigen Klagen wird gerade mal 1% der Täter zur Rechenschaft gezogen. Zudem werden die Frauen häufig mit unsensiblem Personal konfrontiert, vor dem sie erst beweisen muss, dass sie geschlagen wurde und sie keine Schuld daran hat.

Als weiteres Beispiel für die Missachtung der Frauen wird die Gesetzesreform über Schwangerschaftsabbruch angesehen, die vor einem Jahr vom Parlament in Oaxaca angenommen wurde und den Frauen das Recht über ihren Körper zu entscheiden stark einschränkt. Diese Reform wurde bereits in 18 Staaten angenommen und es besteht die Gefahr, dass es zu einer nationalen Verfassungsänderung kommt. Durch die Reform würde der Schwangerschaftsabbruch vollständig verboten, selbst nach Vergewaltigung, oder wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. Frauen, die aus Not dennoch ihre Schwangerschaft abbrechen, können strafrechtlich verfolgt werden. In anderen Bundesstaaten sitzen bereits mehrere junge Frauen im Gefängnis, mit Strafen bis zu 25 Jahren. Dies in einem Land, wo eine überwiegende Mehrheit der Gewalttäter nie bestraft wird. Der Protest nationalweit ist gross und auch die Organisationen von Oaxaca beteiligen sich an verschiedenen Initiativen und Aktionen, um diesen Rückschritt im Bereich der Frauenrechte zu verhindern.

Was tun, fragt sich Anabel, gegen die Ohnmacht? Was tun gegen die Wut, die einen überkommt, beim täglichen Lesen von Zeitungsberichten über Gewalttaten an Frauen, und dem gleichzeitigen Wissen, dass sie verhindert werden könnten?

Nicht aufhören zu schreien! Die Ungerechtigkeit und sinnlose Gewalt in die Welt hinaus schreien, um Augen und Herzen zu öffnen und die Gewalttäter und unfähigen Behörden anzuprangern, die sie ungestraft laufen lassen.

Der Weg ist steinig, aber jede Frau, die sich traut, Widerstand zu leisten, jeder Beamte, der sensibel die Klage einer Frau anhört und ernst nimmt, ist ein Erfolg.

Juristische Mentorinnen

„Morgen werden wir zu juristischen Mentorinnen diplomiert. Aber diese Arbeit und unser Wissen werden wir in unsere Gemeinden tragen, um Frauen, die unter den Schlägen und Misshandlungen ihrer Partner oder Familienangehörigen leiden, helfen zu können.“

Carmela, 43 Jahre alt

Während acht Monaten erhielten 28 indigene Frauen eine Ausbildung in grundlegendem juristischem Wissen und in der Beratungstätigkeit, damit sie Frauen ihrer Gemeinde, die unter Gewalt leiden beraten und begleiten können auf dem Weg aus der Gewaltspirale. Der Diplomkurs wurde von der NGO „Consorcio para el Dialogo Parlamentario y Equidad Oaxaca“ erteilt und von der Autonomen Universität von Oaxaca beglaubigt.

Viele der diplomierten Frauen begleiten bereits Fälle. Damit die anfallenden Ausgaben, wie Telefon- und Reisekosten gedeckt werden können, sind wir auf Spenden angewiesen. Wenn Sie die Mentorinnen in ihrer Arbeit unterstützen wollen, finden Sie den Link und weitere Information über die Arbeit Consorcios auf der Homepage von Consorcio: www.consorciooaxaca.org.mx oder per email an theres@consorciooaxaca.org.mx (auf Deutsch möglich).

Quelle: chiapas.ch

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Mexiko: Rundbrief November 2010

Oaxaca: Politische Morde gehen nach der Gouverneurswahl weiter

Zuerst die gute Nachricht: Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat am 10. November Schutzmassnahmen für Juan Manuel Martínez Moreno und seine Familie ausgesprochen, mit der Auflage, dass der mexikanische Staat sein Leben und seine persönliche Integrität schützen muss.

Nun auch die schlechten Nachrichten: Die PRI-Regierung des scheidenden Gouverneurs Ulises Ruiz scheint sich mit der Wahlniederlage nicht abgeben zu wollen. Vielmehr nutzt sie die lange Zeit bis zur Regierungsübergabe am 1. Dezember dazu, mit politischen Widersachern abzurechnen und der Nachfolgeregierung ein möglichst grosses Desaster zu hinterlassen.

Am vergangenen 27. April wurde in der Nähe von San Juan Copala, Oaxaca, eine humanitäre Beobachtungsmission von Mitgliedern der paramilitärischen Gruppe UBISORT angegriffen. Bei diesem Angriff wurden Bety Cariño Trujillo und Jyri Jaakkola ermordet. Bis zum heutigen Tag sieht es ganz danach aus, dass dieser Doppelmord in Straflosigkeit endet. Unterschreibt den Aufruf Gerechtigkeit für Bety und Jyri!

Ein neuer Hintergrundartikel dazu…

Mitte September 2010 vertrieben Paramilitärs die letzten Familien der Unabhängigen Bewegung der Vereinigung des Kampfes der Triqui MULTI aus dem Dorf San Juan Copala. Die Gewalttaten gehen noch immer weiter: Am 16. Oktober wurden Serafín Ubaldo Zurita und Teresa Ramírez Sánchez erschossen und Teresas Ehemann schwer verletzt. Ausserdem wurde Heriberto Pazos, der sich 25 Jahre für die Interessen der Triquis eingesetzt hat, erschossen. Er war von einem Anschlag von 2001 schon teilweise gelähmt.

Siehe Oaxaca: Indigene bei erneutem Hinterhalt erschossen.
und Anschlag auf Indioführer in Mexiko.

Ein weiterer politisch motivierter Mord geschah in der Stadt Tuxtepec: Catarino Torres Pereda wurde am 22. Oktobers 2010 im Büro der indigenen Organisation CODECI (Komitee zur Bürgerverteidigung) niedergeschossen. Die beiden Angreifer trugen T-Shirts mit Wahlpropaganda für Eviel Pérez Magaña, dem unterlegenen Gouverneurskandidaten der ehemaligen Staatspartei PRI.

Siehe: Indigener Anführer und APPO-Aktivist in Mexiko ermordet.

Guerrero: 15-jähriges Jubiläum der CRAC

Die Gemeindepolizei CRAC feierte vom 13. – 15. Oktober ihr 15-jähriges Bestehen. Wir werden im nächsten Mexiko-Rundbrief einen Schwerpunktartikel zu dieser Basisorganisation bringen. Ein schönes Video mit Interview über die Feierlichkeiten, auf Spanisch.

Chiapas: Ya basta! – Es reicht!

Eine Buch-DVD-Edition dokumentiert Eindrücke vom ersten Treffen der Zapatistinnen mit den Frauen der Welt und berührende Zeugnisse eines Emanzipationsprozesses.

Buchtipp: “Zapatismus – Ein neues Paradigma emanzipatorischer Bewegungen” von Raina Zimmering
Seit über 15 Jahren hat die Autorin, Historikerin und Politikwissenschaftlerin, die aufständische indigene Bewegung der Zapatisten in Mexiko aus der Perspektive der kritischen Transformations- und Widerstandsforschung analysiert und gleichzeitig den Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Forschung als Aktivistin in verschiedenen Menschenrechtsorganisationen in praktischen Zusammenhängen vor Ort kennen gelernt. Das vorliegende Buch besteht aus einer Sammlung von überwiegend wissenschaftlichen Artikeln und einigen Erlebnisberichten über und Interviews mit den Zapatisten.

Mexiko: Indigene Völker und der Drogenhandel von Gilberto López y Rivas

Das Territorium, die natürlichen Ressourcen und die physische und kulturelle Integrität der indigenen Völker Lateinamerikas werden systematisch durch die Unternehmen des neoliberalen Kapitalismus belagert – dazu gehört auch der Drogenhandel.

Weiterlesen

Veranstaltungen:

PdA- Bazar, So. 28.11. von 11 – 22 Uhr im GZ Riesbach; Attraktive Verkaufsstände: Kaffee für den täglichen Aufstand, Olivenöl aus Palästina, neue und antiquarische Bücher, Flohmarkt

10. Internationales Poesiefestival Al-Mutanabbi, 26. – 28. November, 20 Uhr, Brahmsstrasse 116, 8003 Zürich:

FilmTage Luzern: Menschenrechte, 10. – 12. Dezember im stattkino

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FilmTage Luzern: Menschenrechte

Drei Tage lang werden in Luzern spannende Filme zum Thema Menschenrechte gezeigt

10. Dezember 2010 bis 12. Dezember 2010

Menschenrechte: Alle kennen sie, nicht wenige missachten sie, nicht wenige verletzen sie. Das RomeroHaus Luzern, das Institut für Sozialethik der Theologischen Fakultät der Universität Luzern und das stattkino wollen rund um den 10. Dezember – den Internationalen Tag der Menschenrechte – mit Hilfe von Dokumentar- und Spielfilmen das abstrakte Thema Menschenrechte darstellen.

Der Grund: Um dem universalen moralischen Anspruch der Menschenrechte gerecht zu werden, ist es unabdingbar, den Menschen im Norden und im Süden, den Reichen und den Armen, den Mächtigen und den Ohnmächtigen – die gleichen Rechte zuzugestehen. Rechte, die die Grundlage für ein humanes Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden weltweit bilden.

Deshalb werden die Menschenrechte zum Thema gemacht: Drei Tage lang gibt es spannende Filme zu sehen, wird über die aktuelle Situation der Menschenrechte im In- und Ausland informiert, werden politische, ökonomische und kulturelle Ursachen von Menschenrechtsverletzungen hinterfragt. Die Veranstaltenden hoffen, dass sie auf diese Art zu einer toleranteren Gesellschaft beitragen können; zu einer Gesellschaft, die kulturelle, ethnische und andere Unterschiede als Bereicherung versteht.

Ort: stattkino, Bourbaki Panorama, Löwenplatz 11, 6004 Luzern, www.stattkino.ch

Programm (pdf zum herunterladen)

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Die Bombe platzen lassen

Die Medien wissen mehr, als sie selbst und der Innenminister zugeben. Der Krieg kehrt in die Zentren der Industriestaaten zurück
Von Dietmar Koschmieder

Schon eigenartig: Der Innenminister tritt am Mittwoch vor das Mikrofon und ruft »Terroralarm« (Tagesspiegel). Laut Hinweisen werde Ende November, so de Maiziére, ein »mutmaßliches Anschlagsvorhaben« umgesetzt. Solche Warnungen gab es schon öfters, eigenartig ist aber, daß die meisten Zeitungsredaktionen zu diesem Zeitpunkt schon mehr wissen, als der Minister preisgibt. Der Tagesspiegel meldet am gleichen Tag vorab, daß der Anschlag angeblich am Montag, den 22.November stattfinden wird. Diese genaue Terminierung wurde auch der jungen Welt aus »gut informierten Kreisen« zugespielt. Wie auch die Information, daß vor allem große Hotels gefährdet seien. Die Hoteliers waren schon Tage zuvor über die Gefährdungslage informiert worden. Also viel Arbeit für die Medien. So verbreitete gestern das ZDF eine Meldung, die mit »ZDF-Terror-Experte: So viele Hinweise auf Anschläge wie noch nie« überschrieben war. Weiter heißt es dort: »Der Bundesinnenminister hat nicht alles gesagt, was er weiß. Es gibt noch eine Reihe von weiteren Hinweisen.« Aber woher weiß der ZDF-Terror-Experte Elmar Theveßen das alles? Wer hat es ihm gesteckt? Und wieso? Daß die Geheimdienste mit den Geheimdienst- und Terrorexperten der Medien auf das Engste zusammenarbeiten, ist hinlänglich bekannt. Warum aber sind bürgerliche Medien so wenig mißtrauisch gegenüber dieser Art von Arbeitsteilung?

Unglaublich auch, wie unkritisch die Redaktionen mit den politischen Experten umgehen. Wenn letztere zu erhöhter Wachsamkeit der Bevölkerung, also zur Denunziation, aufrufen, reicht das ersteren nicht. Kritisch fragen sie nach: Das sei doch alles sehr unpräzise, ob nicht deutlicher gesagt werden könne, wie man so was machen solle, wird beim Berliner Sender Radio Eins am Donnerstag nachgefragt. Experten wie der Innensenator Erhart Körting geben unkommentiert Ratschläge. Laut Berliner Zeitung rief er am Donnerstag die Berliner ungewöhnlich deutlich dazu auf, ihre Umgebung genau zu beobachten. »Wenn wir in der Nachbarschaft irgendetwas wahrnehmen, daß da plötzlich drei etwas seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie blicken lassen oder ähnlich, und die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen, dann sollte man« die Behörden unterrichten, sagte Körting. Andere Experten dürfen in den Medien lang und breit erklären, warum Vorratsdatenspeicherung und schrankenlose Abhörerei völlig unverzichtbar seien. Anders sei eine effektive Terrorbekämpfung nämlich völlig unmöglich, behauptete der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl am Donnerstag. Das Übliche halt, leider aber auch die übliche Rolle der meisten Journalisten als reine Stichwortgeber. Kaum jemand kommt es in den Sinn, daß hier offensichtlich ein weiterer Abbau demokratischer Grundrechte in großem Stil vorbereitet wird.

Auch weil auf Dauer Terrorwarnungen politisch nicht zu nutzen sind, wenn nicht doch irgendwo mal eine Bombe hochgeht, ist die aktuelle Warnung des Innenministers sehr ernstzunehmen. Der jungen Welt zugespielte Informationen besagen, daß deutsche Geheimdienste am bevorstehenden Anschlag mitdrehen. Das können wir nicht verifizieren, Geheimdienste bestätigen so etwas nicht. Daß die nicht nur beobachten – so absurd ist der Gedanke allerdings keineswegs. Am vergangenen Samstag haben wir auf Seite eins dieser Zeitung darüber berichtet, daß aus Ermittlungsakten über einen kurz zuvor festgenommenen Terrorverdächtigen hervorgeht, daß dieser möglicherweise von einem V-Mann zu seinen Videobotschaften angestiftet wurde. Generalstaatsanwaltschaft und Landeskriminalamt wollten den Vorwurf nicht kommentieren. Auch die in den Medien als Sauerlandbomber bezeichneten festgenommenen Terroristen sollen ihre Zünder für die Sprengsätze von einem Türken bekommen haben, der mit Geheimdiensten zusammenarbeitete. Ähnliche Informationen aus dem In- und Ausland häufen sich. Angst vor Terror war schon immer ein beliebtes Mittel der Politik, um demokratische Rechte, die als hinderlich empfunden werden, leichter aus dem Weg räumen zu können.

Aber auch wenn die Bombe nicht im Auftrag der Herrschenden oder von ihnen gesteuerter nützlicher Idioten gezündet wird, sind sie für die entstandene Situation verantwortlich. Darauf hat die junge Welt schon in ihrer Ausgabe vom 12. September 2001, also nur einen Tag nach den furchtbaren Anschlägen auf das World Trade Center in New York, hingewiesen. Der Chefredakteur der jungen Welt, Arnold Schölzel, kommentierte: »Die Nachrichten über die Anschläge in den USA waren gut eine Stunde alt, da trat in Berlin der Nationale Sicherheitsrat der Bundesrepublik zusammen. Die Sicherheitsbehörden (…) seien in höchste Alarmstufe versetzt worden. Der Bundestag unterbrach seine Sitzung. So sehen Vorboten nationaler, diesmal NATO-weiter Hysterie aus. Zu erwarten sind militärische Vernichtungsaktionen gegen mutmaßliche Urheber plus unbeteiligte Zivilisten. Sie folgen dem Terror, den man in diesem Fall weniger denn je individuell nennen kann, mit jener Konsequenz, mit der die Nazis den Reichstagsbrand nutzten. (…) Daran muß deswegen erinnert werden, weil Ursache und Wirkung solcher Aktionen nun nach den seit jeher gültigen Propagandaregeln vertauscht werden: Wir sind die Guten, die sind die Bösen. Tatsächlich sind Attentate wie die vom Dienstag, die einer Kriegserklärung gleichkommen, theoretisch von Vordenkern vor allem der Dritten Welt seit Jahrzehnten vorhergesagt worden (…). Sie alle haben davon gesprochen, daß, sollte der Krieg des weißen und reichen Nordens gegen den farbigen und armen Süden nicht aufhören, er in die Zentren der Industriestaaten zurückkehren würde. (…) Kriegsverursacher benötigen Sündenböcke.«

Gedanken, die schon damals umgehend von Die Welt bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung als völlig abwegig gegeißelt wurden. Immerhin einer der seltenen Momente, in denen die junge Welt in den überregionalen Medien zitiert und kommentiert wurde.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/11-20/018.php

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Erst kommt der Profit, dann die Menschen

Zehn Monate nach dem Erdbeben, bei dem auf Haiti 300 000 starben und 2 Millionen ihre Zuflucht in Notunterkünften suchen mussten, wird das Land noch immer betrogen, okkupiert und unterdrückt.

von Ashley Smith

Die USA und andere Mächte sowie die UNO und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hatten sich verpflichtet, den Opfern des Bebens mit Geld und anderen Ressourcen beizustehen und die zerstörte Hauptstadt Port-au-Prince wiederaufzubauen, doch keiner hat sein Versprechen gehalten, so dass die Bevölkerung heute den Ausbruch einer Cholera-Epidemie befürchten muss. Auch Hurrikan Tomas, der letzte Woche über Haiti hinwegfegte, könnte zur Ausbreitung der Cholera – und somit zu einer landesweiten Epidemie – beitragen.

Auf der anderen Seite haben die Großmächte ihre sechsjährige Kolonialbesatzung Haitis um ein weiteres Jahr verlängert. Sie koordinieren Pseudowahlen (am 28. November) und veröffentlichen Pläne zur Entwicklung von Sweatshops, in denen die verzweifelte Bevölkerung ausgebeutet werden soll.

Bereits vor Hurrikan Tomas und vor dem Ausbruch der Cholera war die Situation schrecklich. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sitzen immer noch in Camps fest – Camps, die man nur als Flüchtlingslager bezeichnen kann. Es gibt mindestens 1 500 von ihnen. Sie wurden auf allen möglichen Grundstücken errichtet. In Port-au-Prince liegen sie auf einer Plaza gegenüber dem zerstörten Nationalpalast. Aber auch zwischen den Straßen oder im Zwischenbereich von Golfplätzen wurden Lager errichtet.

‘We Have Been Forgotten’ (wir wurden vergessen) ist eine ausführliche Studie des ‘Institute for Justice and Democracy in Haiti’. Laut dieser Studie findet sich in 75% aller Familien, die in den Lagern leben, eine Person, die mindestens schon einmal einen ganzen Tag ohne einen Bissen Nahrung auskommen musste. 44% der Menschen haben nur ungeklärtes Wasser, und 27% haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Um ihre Notdurft zu verrichten, bleibt diesen Menschen nur das freie Feld.

Die ‘International Organization for Migration’ berichtet, dass 12 000 Erdbebenflüchtlinge bereits aus den Lagern vertrieben wurden. 87 000 stünden unmittelbar vor der Räumung.

In Port-au-Prince und Umgebung findet praktisch kein Wiederaufbau statt. Wie die ‘Los Angeles Times’ berichtet, waren Ende des Sommers erst 2 Prozent der Trümmer aus Port-au-Prince weggeräumt. Die Hauptstadt liegt nach wie vor in Schutt und Asche. Zu allem Überfluss haben weder die UNO noch die NGOs mit dem Bau von Ersatzwohnungen für die Vertriebenen begonnen – jedenfalls so gut wie nicht. Von den geplanten Notunterkünften wurden bislang lediglich 13 000 – 10 Prozent – gebaut.

Die Bedingungen sind furchtbar. Kein Wunder, dass Kriminelle Geschäfte mit der Verzweiflung der Menschen machen. So blüht zum Beispiel der Kinderhandel. Wie der ‘Miami Herald’ berichtete, wurden seit dem Erdbeben “mehr als 7 300 Jungen und Mädchen aus ihrer Heimat in die Dominikanische Republik geschmuggelt – von Menschenschleusern, die von der Verzweiflung und dem Hunger der haitianischen Kinder und ihrer Familien profitieren. 2009 wurden nur 950 Kinder aus Haiti geschmuggelt (laut einer Menschenrechtsorganisation, die den Kinderhandel an 10 Grenzpunkten überwacht).

WÄHREND amerikanische Politiker und Medien gerne dem haitianischen Staat die Schuld für die verzweifelte Situation in die Schuhe schieben, trägt Amerika im Grunde die Hauptschuld. Amerika ist schuld an der Armut auf Haiti. Amerika hinderte die Regierung daran, Reformen, im Interesse der Menschen, durchzuführen.

In den vergangenen 30 Jahren verhängte Amerika eine neoliberale Politik über Haiti, durch die der staatliche Industriebereich privatisiert wurde. Einfuhrzölle, die den heimischen Markt schützen sollten, wurden drastisch abgebaut. Haiti wurde für den Tourismus – und für die Sweatshops – geöffnet. Die Armen in den Städten sowie die Arbeiter und Bauern reagierten auf die Lage, indem sie 1990 Jean-Bertrand Aristide und seine Lavalas-Partei an die Macht wählten. Die Verhältnisse sollten sich endlich bessern.

Doch die USA taten sich mit der herrschenden Kaste Haitis zusammen und stürzten Aristide – zwei Mal: 1994 und 2004. Die Regierung des aktuellen Präsidenten, René Préval, hat die Funktion eines Marionettenregimes, das die Befehle der Imperialmächte loyal befolgt. Dafür wurde gesorgt.

Im Grunde üben die USA, gemeinsam mit anderen Großmächten, auf Haiti die Staatsgewalt aus – mit Hilfe der neokolonialen UNO-Truppen, die das Land besetzt halten. Diese Länder tragen die Hauptschuld an der mangelnden Hilfe für die Erdbebenopfer und am Ausbleiben des Wiederaufbaus.

Ende März trafen sich die mächtigen Staaten der Welt zu einer (Geber-)Konferenz in New York City. Eine Interimskommission (IHRC) wurde eingesetzt, die den Wiederaufbau auf Haiti koordinieren soll. Als Wiederaufbauhilfe wurden $10 Milliarden versprochen, von denen $5,3 Milliarden in den folgenden 18 Monaten ausgezahlt werden sollten.

Die Konferenz ist 7 Monate her. Wie das Büro des Sondergesandten der UNO berichtet, haben die meisten Geberländer ihre finanziellen Beiträge noch nicht geleistet. Nur 32% der Spenden für 2010/2011 seien bislang eingegangen. Für Projekte seien sogar noch weniger geflossen: lediglich 22%. Die USA sind der größte Schuldner: Von den versprochenen 1,15 Milliarden US-Hilfe ist noch kein einziger Penny bezahlt worden.

Ebenso wenig haben die NGOs – die aus dem überwältigenden Mitleid der Welt für Haitis Bevölkerung Kapital schlugen -, ihr Versprechen eingelöst, den Erdbebenopfern zu helfen und zum Aufbau des Landes beizutragen.

“Die großen karitativen Organisationen haben viel Geld auf ihren Bankkonten, das nicht nach Haiti fließen wird” sagt Melinda Miles von der ‘Haiti Response Coalition’ zu AP (Associated Press). Am schlimmsten ist das ‘Rote Kreuz’: Von den $480 Millionen, die dort nach dem Beben an Spenden eingingen, wurde nicht einmal ein Drittel ausgegeben.

Wen wundert es da, dass die Haitianer wütend sind auf die NGOs. Der Anthropologe Mark Schuller berichtet: “Die meisten Leute sind zornig auf die NGOs, weil diese nun einmal – ob man es gut findet oder nicht -, die Aufgabe übernommen haben, die Menschen mit staatlichen Dienstleistungen zu versorgen”. Laut Schuller glauben die Haitianer, die “NGOs werden reich durch unser Elend. Sie wollen nicht wirklich, dass sich was ändert – denn, wenn die Probleme gelöst wären, würden die NGOs nicht weiterexistieren”.

Als Folge dieses imperialen Betrugs an Haiti ist es – 10 Monate nach dem Erdbeben – hilflos Hurrikanen und Krankheiten ausgesetzt. So als hätten sie sich koordiniert, schlugen beide Phänomene nämlich zur gleichen Zeit zu.

Auf dem Zentralplateau und in der Region Artibonite ist die Cholera ausgebrochen. Artibonite ist der Brotkorb der Nation. Der Ausbruch der Seuche war keine Naturkatastrophe sondern Folge beschädigter oder nichtexistenter Abwassersysteme im Land.

Die Cholera-Bakterien gelangten über menschliche Fäkalien in den Fluss Arbonite. Zwei Regionen nutzen diesen Fluss für ihre Trinkwasserversorgung und für Bewässerungsprojekte. Die Menschen baden in seinem Wasser.

Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) sind innerhalb der letzten zweieinhalb Wochen

9 100 Menschen auf Haiti an der Cholera erkrankt; 583 starben bereits. Inzwischen beginnt sich die Krankheit auch in den Slums und den Lagern von Port-au-Prince auszubreiten. Allein im Armenviertel Soleil de Cité wurden – laut ‘Ärzte ohne Grenzen’ – 200 Fälle registriert.

Die USA und andere Großmächte sind verantwortlich für die Bedingungen, die zum Ausbruch dieser Seuche geführt haben: Zwischen 2000 und 2004 verhängten sie ein Embargo über Haiti. Dies war Teil einer ‘Destabilisierungskampagne’, die das Ziel hatte, die Regierung Aristide zu stürzen. Durch das Embargo wurde ein Kredit der ‘Inter-American Development Bank’, mit dem die öffentliche Wasserversorgung in der Region Artibonite verbessert werden sollte, eingefroren. Die Artibonite-Regierung ist somit eine ideale Brutstätte für eine Krankheit wie die Cholera.

Der eigentliche Grund, weshalb die Cholera nach Haiti kam, ist möglicherweise bei der UNO zu suchen. In vielen Berichten ist davon die Rede, dass einige nepalesische UNO-Soldaten, die vor einiger Zeit nach Haiti verlegt wurden, die Ansteckungsquelle seien. Schließlich gab es auf Haiti 50 Jahre lang keinen Cholera-Fall mehr. In Nepal ist Cholera eine Plage. Hinzu kommt, dass der spezifische Bakterienstamm, der bei kranken Haitianern gefunden wurde, ein Erregerstamm ist, den es auch in Nepal gibt.

Unglaublich, dass die UNO keinen ihrer Soldaten auf Cholera testet. Im Falle der nepalesischen Soldaten, die Anfang des Jahres auf einen Stützpunkt nahe des Artibonite-Flusses verlegt wurden, ist dies nicht geschehen. AP recherchierte vor Ort und “fand hinter der Basis offene und zerbrochene Rohre… Der Gestank von menschlichen Exkrementen war überwältigend. Aus einem lecken Rohr, das zu einem angegammelten Tank führte, rieselte eine faulige, übelriechende Flüssigkeit in Richtung Fluss”.

Als Reaktion marschierten Hunderte Haitianer aus Mirebalais zum Stützpunkt und verlangten die Verlegung der Soldaten.

Am 5. November schlug Hurrikan Tomas zu. Die Gefahr bestand, dass der Cholera-Ausbruch sich zu einer echten Epidemie entwickeln würde. Zum Glück schwächte sich der Hurrikan beträchtlich ab, bevor er auf Haiti traf. Dennoch kamen bei dem Sturm, so die ‘New York Times’, 21 Menschen um, 6 610 verloren ihr Heim. Die Sturmwinde des Hurrikans zerrissen Zelte und Plastikplanen. Der Regen verwandelte die Flüchtlingslager von Port-au-Prince in matschige Sümpfe. Die Überflutungen könnten die Choleraerreger weiterschwemmen.

Wie ‘Partners in Health’ berichtet, haben sich “die Lebensbedingungen in den Lagern…. durch den Sturm massiv verschlechtert. Das stehende Wasser, der Müll, der nicht mehr eingesammelt wird und die eingeschränkte sanitäre Lage machen die Lager zu potentiellen Brennpunkten eines Cholera-Ausbruchs”.

Während des Hurrikans rührten die USA kaum einen Finger, um Haiti zu helfen. Der Luftwaffenträger Iwo Jima wurde losgeschickt, um – mittels Luftaufklärung – die Schäden auf Haiti zu ermessen. Kaum besser verhielten sich die NGOs. Violet Nicolas, eines der Hurrikan-Opfer, sagte gegenüber ‘Inter Press Service’: “Unsere Häuser sind schon wieder kaputt. Ich habe meine Sachen verloren. Die tun überhaupt nichts für uns. Wir bekommen sie nie zu Gesicht. Seit das Wasser eingedrungen ist, stecken wir in noch mehr Problemen”.

Der Hurrikan ist vorüber, aber die Cholera wird Haiti wahrscheinlich noch jahrelang zu schaffen machen. Evan Lyon, ein Arzt von ‘Partners in Health’, sagte gegenüber Democracy Now!, die Cholera “wird so lange nicht aus Haiti verschwinden, wie sich nichts an den Ursachen ändert, die die Menschen anfällig machen… Vielleicht wird die erste Welle der Erkrankungen vorbeigehen, aber entscheidender ist, dass die Krankheit nicht weggehen wird, solange die Infrastruktur so dürftig ist”.

Die ‘New York Times’ sagt voraus, dass die “Cholera alltäglich werden wird und in den nächsten Jahren 270 000 Menschen befallen könnte”.

Haiti wird von einer Katastrophe nach der anderen heimgesucht. Währenddessen scheinen sich die USA nur mit der Frage zu beschäftigen, wie man Haiti, mit Hilfe repressiver Streitkräfte, am besten stabilisieren könnte. Außerdem entwickeln die USA Geld-für-Arbeit-Modelle – um die Erdbebenopfer gerade so am Rande der Verzweiflung zu halten. Die USA drängen auf Wahlen – Pseudowahlen, die dem Marionettenregime einen gewissen Anschein von Legitimität geben sollen. Ziel ist es, ein relativ sicheres Umfeld für die Geschäfte der multinationalen Konzerne und der herrschenden Klasse Haitis zu schaffen.

Um den Haitianern Sicherheit zu verordnen, haben die USA die UNO dazu gebracht, ihre Besatzung auf ganz Haiti auszuweiten. Die UN-Stabilisierungsmission auf Haiti (MINUSTAH) wurde kurz nach dem Putsch gegen Aristide (2004), der von den USA unterstützt wurde, ins Land geschickt. Die Mission kostet jedes Jahr $600 Millionen.

Derzeit verfügt die MINUSTAH über 9 000 Soldaten und 4 300 Offiziere, die im Land patrouillieren. Im Oktober verlängerte der UN-Sicherheitsrat die MINUSTAH-Mission um ein weiteres Jahr – mit der Behauptung, dies wäre notwendig, um faire Wahlen zu gewährleisten, “die Zahl, der in Umlauf befindlichen Waffen” unter Kontrolle zu halten und um “gravierende Verstöße gegen Kinder, die von bewaffneter Gewalt in Mitleidenschaft gezogen werden” zu verhindern und “die weitverbreiteten Vergewaltigungen beziehungsweise den sexuellen Missbrauch von Frauen und Mädchen” zu stoppen.

In Wirklichkeit ist die UNO Teil des Problems und nicht der Lösung.

Die Truppen der UN-Mission sorgen nicht für Demokratie. Sie wurden – nach dem US-Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Aristide – nach Haiti geschickt, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Als größte bewaffnete Macht auf Haiti war es ihnen möglich, die Proteste, mit denen die Rückkehr Aristides gefordert wurde, immer wieder zu unterdrücken.

Was den Schutz von Frauen und Kindern angeht, so werden Soldaten der MINUSTAH immer wieder beschuldigt, Frauen vergewaltigt zu haben. Die extreme Zunahme des Kinderhandels geschieht direkt unter den Augen der UNO. Aus diesem Grund protestierten in Port-au-Prince Aktivisten gegen die Verlängerung der MINUSTAH-Mission. Das ‘Bureau of Avocats Internationaux’ (BAI) erklärte: “Man verschwendet Geld an diese Mission; (und) die Protestierenden wollen echte Unterstützung und nicht die Erneuerung (des Mandats)…. einer militärischen Besatzungsmacht”.

Die USA wissen, dass sie die UNO-Besatzung nicht endlos ausdehnen können. Daher trainieren mächtige Staaten die Haitian National Police. 1995 hatte Aristide die haitianische Armee aufgelöst. (Haitian Armed Forces). Seither bemühen sich die USA um den Aufbau der haitianischen Polizei – als Alternative – um die Bevölkerung in Unterdrückung zu halten.

Heute hat Haiti 8 000 Polizisten. Die USA streben eine Aufstockung auf 14 000 an. Allein Kanada hat $44 Millionen in die Ausrüstung und das Training von haitianischen Polizeioffizieren investiert. Die USA und andere Mächte hoffen, dass die Polizei eines Tages die MINUSTAH ersetzen kann – als tüchtige repressive Kraft im eigenen Land.

Den USA ist zudem klar, dass die Besatzung und der Aufbau einer Polizeimacht nicht genügen, um eine Gesellschaft zu stabilisieren. Sie wollen die Haitianer in Arbeit bringen. Sie sollen nicht mehr im absoluten Elend leben, sondern in gerade noch erträglicher Armut. Aus diesem Grunde entwickelten die USA das Cash-for-work-Programm (Bargeld für Arbeit): Erdbebenopfer werden für eine zeitweise Beschäftigung angeworben. Die Projekte sind verschieden. Eines davon ist das Aufsammeln von Trümmern.

Die Cash-for-work-Programme zahlen ihren Beschäftigten einen Mindestlohn von $5 pro Tag (oder $4 und eine Lebensmittelration). Laut der Studie von ‘Haiti Grassroots Watch’ können die Arbeiter von diesem Einkommen kaum überleben – ganz zu schweigen von ihren Familien. In der Studie heißt es: “Das ‘Workers Rights Consortium’ mit Sitz in Washington, hat errechnet, wie viel ein Erwachsener mit zwei Minderjährigen, die er mit ernährt, verdienen muss, um überleben zu können. Dabei wurden der Kalorienbedarf, Miete, Schule, Energiekosten, Nahrungsmittel und andere Lebenshaltungskosten einberechnet. (Die Summe liegt bei) $13,88 pro Tag”.

Selbst die USA geben zu, dass durch die Geld-für-Arbeit-Programme nicht alle Trümmer eingesammelt werden können und dass die Menschen so der Armut nicht entrinnen werden. Robert Jenkins, leitender Direktor von USAID-Haiti drückt es zynisch aus, wenn er schreibt:

Strategisches Ziel auf Haiti sei es, in einer sich verändernden, labilen Umwelt, zur Stabilität beizutragen. Die ersten Maßnahmen (Taktiken), um dieses Ziel zu erreichen, bestünden darin, eine Anzahl Arbeiter (einzustellen), um die Trümmer wegzuräumen. Die zugrundeliegende Überlegung, in Bezug auf dieses Ziel, sei, erstens, dass die Arbeitenden (vor allem junge Männer) weniger gewalttätig seien, wenn sie eine Beschäftigung hätten, zweitens, dass auf diese Weise Bargeld in die ärmsten Viertel fließe, was einen heilsamen Effekt habe, und drittens, dass die Trümmer in den ärmsten Vierteln weggeräumt würden, was einen hohen symbolischen Wert habe, weil es Hoffnung mache, dass eine Rückkehr zu einer gewissen Normalität stattfinde.

Anders gesagt: Diese Programme sind ein Trick, um Sicherheit herzustellen und den Anschein von Fortschritt beim Wiederaufbau zu erwecken – nur den Anschein, wohlgemerkt, echter Fortschritt findet nicht statt.

Die letzte Komponente des US-Stabilisierungsplanes für Haiti zielt darauf ab, die Illusion zu verbreiten, Haiti sei ein demokratischer, unabhängiger Staat. Die USA und weitere Staaten sowie die UNO pumpen Millionen in die Organisierung der bevorstehenden Wahlen (am 28. November), bei denen sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt wird. Allein Kanada will $5,8 Millionen für die Wahlen spenden. Um sicherzustellen, dass nur deren Kandidaten gewählt werden, unterstützen die USA Präsident Prévals Provisorischen Wahlrat (CEP). Dieser verbietet die populärste politische Partei auf Haiti: Fanmi Lavalas, die Partei Aristides. Der CEP lässt Fanmi Lavalas seit dem Coup 2004 zu keiner Wahl antreten.

Auf diese Weise manipuliert der CEP – mit stillschweigender Duldung der USA – die kommenden Wahlen. Zugelassen sind ausschließlich Kandidaten der herrschenden Elite oder Wendehälse aus der Volksbewegung, die ihren Frieden mit den Besatzern gemacht haben. Prévals handverlesener Nachfolger als Präsident wird Jude Celestin sein. Er führt in den Umfragen schon jetzt.

Weil die Fanmi Lavalas erneut nicht zugelassen wurde, lehnen die Volksbewegungen und die Linke die Wahlen ab. Sie bezeichnen sie als Scheinwahlen und rufen zum Wahlboykott auf. Die Bauern, die Armen in Stadt und Land sowie die Arbeiter werden diesem Aufruf sehr wahrscheinlich folgen und nicht wählen…? Die Wahlbeteiligung dürfte absolut niedrig sein. Kein Zweifel: Der neue Präsident und das neue Parlament werden nicht die Unterstützung des Volkes haben. Sie werden nur die Funktion eines Marionettenregimes für die herrschende Klasse Haitis und die mächtigen Staaten erfüllen.

Von einer Stabilisierung Haitis erhoffen sich die USA – in den Worten des UN-Sondergesandten für Haiti, Bill Clinton -, die Gewähr, dass das Land “offen für Geschäfte” sein wird.

Clinton will einen neoliberalen Plan umsetzen, der von Paul Collier entwickelt wurde, mit dem Titel: ‘Haiti: From Natural Castastrophe to Economic Security’.

Der Plan ist Teil der Arbeit der IHRC (Interimskommision zur Koordinierung des Wiederaufbaus von Haiti) und sieht u.a. Sweatshops, Entwicklung, Tourismus und eine Export orientierte Landwirtschaft für Haiti vor. Es ist ein Plan, der den Interessen der multinationalen Konzerne dienlich ist sowie der herrschenden Klasse Haitis, und er basiert auf der Ausbeutung der verzweifelten Armen des Landes.

Der Plan bringt nichts Neues. Er ist wie alles andere, das die USA seit den 70ger Jahren über Haiti verhängen. Nicht um Entwicklung ging es, sondern um das Gegenteil – um eine rückwärtsgewandte Entwicklung. So wurde die bäuerliche Landwirtschaft zerstört, die Menschen mussten in die Städte abwandern, wo es nicht genügend Arbeit für sie gab. Auf diese Weise sind die großen Slums von Port-au-Prince entstanden.

Neoliberale Ideen wie diese haben zu Bedingungen geführt, die aus natürlichen Katastrophen – wie Erdbeben, Cholera oder Hurrikanen – soziale Katastrophen machen.

Die USA, weitere Mächte, die UNO und die NGOs haben sich als unfähig erwiesen, die Krise auf Haiti zu lösen. Im Grunde sind sie die Hauptverursacher dieser Krise. Sie müssen gezwungen werden, nicht nur ihre Hilfszusagen für den Wiederaufbau des Landes (die sie nach dem Erdbeben gaben) einzulösen, sondern zusätzlich Reparationen zu zahlen – für den jahrzehntelangen Schaden, den sie Haiti zugefügt haben.

Nur, wenn die Massen auf Haiti in den Besitz solcher Gelder gelangen und dadurch in der Lage sein werden, ihre Gesellschaft wiederaufzubauen, wie es ihren Interessen entspricht, werden diese Menschen in der Lage sein, sich aus dem endlosen Kreislauf der Krisen zu befreien, der Haiti imperialistisch aufgebürdet wurde.

Quelle: Zmag

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Mikrokredite in Indien vor dem Kollaps

In einem indischen Bundesstaat haben gut 90 Prozent der Mikro-Schuldner die Zahlungen eingestellt

Ursprünglich dürften die sogenannten Mikrokredite eine gute Idee gewesen sein: Mit den bescheidenen Geldsummen sollten Produktionsmittel gekauft werden, um es den Kreditnehmern damit zu ermöglichen, fleißig einer privaten Geschäftstätigkeit nachzugehen und Kleinstunternehmer zu werden und so ein Einkommen zu erzielen, dass nicht nur den Lebensunterhalt sicherstellen, sondern auch die Tilgung der Kredite ermöglichen sollte. So lange die Kredite von NGOs arrangiert wurden, die vor allem soziale Ziele verfolgten, schien das auch recht gut zu funktionieren. Die Kredite wurden tatsächlich mehrheitlich für produktive Zwecke genutzt, das Kleingewerbe blühte auf und die Ausfallsraten bewegten sich im niedrigen einstelligen Bereich.

Dann kam der Nobelpreis für einen der geistigen Väter, die Mikrokredite setzten sich weltweit durch und das Geschäft wanderte von den Non-Profit-Organisationen hin zu den professionellen Finanzmarktteilnehmern. Diese wollten von den niedrigen Ausfallsraten und den vergleichsweise hohen Zinsen profitieren und konnten sich gleichzeitig ein soziales Mäntelchen umhängen. Allerdings waren die Kreditgeber nun den üblichen Zwängen der Finanzmärkte ausgesetzt, Umsätze und Gewinne stetig auszuweiten. Das brachte die privaten Kreditgeber offenbar dazu, die Vergabestandards zu senken und die Zinsen zu steigern. Durch die massenhafte Finanzierung von Kleinstunternehmern sanken indes die Gewinnchancen für alle, und gleichzeitig wurden zusehends auch Mikrokredite für Konsumzwecke vergeben, bzw. in den Markt gedrückt.

Mittlerweile haben – zu 80 Prozent finanziert von indischen Banken – die Mikrokreditvergeber umgerechnet rund fünf Milliarden Dollar an Mikrokrediten ausständig, bei denen zuletzt kaum mehr Rücksicht auf die Fähigkeit der Kreditnehmer genommen wurde, die Kredite zu bedienen. Wie eine Studie zuletzt dokumentierte, wurden dafür zunehmend Wucherzinsen von 30 Prozent und mehr verrechnet. Während aber die Verkäufer der Mikrokredite zuletzt über die Börse Kasse machten, häuften sich die Selbstmorde verzweifelter Schuldner.

Das hat inzwischen auch die Regierung aufgeschreckt, die in diesem Geschäftsmodell mittlerweile eine indische Version der US-Subprimkredite heraufdämmern sieht. Tatsächlich unterscheide sich das Vorgehen vieler Mikrofinanzierer praktisch nicht mehr von den traditionellen Kreditwucherern, was den Zorn der Betroffenen inzwischen mehrfach zu gewalttätigen Ausbrüchen verdichtet hat.

In der Folge wurden die Gesetzgeber im größten Bundesstaat Andhra Pradesh bereits aktiv, die nun ein strenges Gesetz verabschiedet haben, zu welchen Bedingungen derartige Kredite vergeben und betrieben werden dürfen. Trotz der Neuregelung drängen lokale Politiker die Schuldner aber weiter dazu, die Zahlungen zu verweigern. Laut New York Times hätten auf die in diesem Bundesstaat ausstehenden rund zwei Milliarden Dollar an Mikrokrediten in den vergangenen Wochen allenfalls zehn Prozent der Schuldner irgendwelche Zahlungen geleistet. Die indischen Großbanken, die die Mikrokreditvergeber bisher gerne finanziert haben, stehen nun voll auf der Bremse, womit das ehemalige Erfolgsmodell nun offenbar vor dem Zusammenbruch steht.

Quelle: Telepolis

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Für eine andere Welt

Filmtipp: Für eine andere Welt (Frankreich, 2010, 52mn), ARTE F

Griechenland, Frankreich, Dänemark, Brasilien oder China – überall auf der Welt regt sich entschiedener Widerstand. Hier der Zorn der Jugendlichen, dort die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, der Aufstand der vom System Ausgeschlossenen.

Nie zuvor war der Geist der Revolte so stark und so verbreitet. Allein im Jahr 2009 wurden weltweit 524 Aufstände gezählt, und fast ein Drittel davon fand in Europa statt. Alle Proteste werden von jungen Menschen getragen, die ihrem Unmut über die Globalisierung Luft machen wollen.

gesehen bei trueten.de

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Antiimperialistisch, antikapitalistisch und sozialistisch

Bolivianische Armeespitze legt neue Ausrichtung der Streitkräfte fest. Doktrin zum 200. Jahrestag des Militärs bekanntgegeben

In Bolivien hat sich die Führung der Armee in einer historisch einmaligen Stellungnahme für den politischen Reformprozess der sozialistischen Regierung des Andenstaates ausgesprochen. In einer Deklaration zum 200. Jahrestag des Bestehens der Armee erklärten die Kommandeure der drei Waffengattungen den “antiimperialistischen, antikapitalistischen und sozialistischen” Charakter der Streitkräfte. Die Armee wurde in Bolivien im Jahr 1810 im Kampf gegen die spanischen Kolonialbesatzer gegründet.

Bei seiner Rede in der Militärkaserne “Gualberto Villarroel” in La Paz hob Präsident Evo Morales die Leistungen der Streitkräfte bei der Durchsetzung der neuen Sozialpolitik der Staatsführung hervor. So habe die Armee bei der Durchsetzung der Nationalisierung von Naturschätzen und bei der Übernahme von Goldminen an der Grenze zu Peru ebenso geholfen wie bei der Bewältigung der Folgen von Naturkatastrophen. Zugleich rief Morales die Armee auf, sich auf ausländische Interventionen vorzubereiten. Die bolivianischen Streitkräfte seien angesichts ihrer Geschichte “mit einer antiimperialistischen Position geboren worden, weil sie von Beginn an das europäische Imperium bekämpft haben”.

Morales erinnerte zugleich an progressive politische Ansätze in der Armee. So hatten sich nach dem blutigen Chaco-Krieg (1932-1935) progressive Militärs in der Organisation Razón de Patria zusammengeschlossen, die, so Morales, eine linksgerichtete Doktrin entwickelten. Der Chaco-Krieg mit dem benachbarten Paraguay ist bis heute eines der großen Traumata Boliviens.

In seiner Rede hob Armeegeneral Antonio Cueto indes die antikoloniale Geschichte der Streitkräfte hervor. Vor diesem Hintergrund erklärte er die aktuelle Positionierung der Armeeführung, die laut Cueto eindeutig hinter der Reformverfassung steht, die im vergangenen Jahr in einem Referendum angenommen wurde. In einem souveränen Bolivien sei es fortan undenkbar, dass ausländische Militärbasen zugelassen werden, so Cueto – in offener Anspielung auf die fortschreitende Militarisierung durch die US-Armee.

Die Stellungnahme der bolivianischen Militärführung wurde von politischen Beobachtern mit Erstaunen aufgenommen. Die Armee hatte in dem Andenstaat in den vergangenen Jahrzehnten immer eher eine rechtsgerichtete Position bezogen und die mehrfach herrschenden diktatorischen Regime gestützt. Für diese Rolle führte Staatschef Morales nun eine Begründung an, die bei Menschenrechtsorganisationen auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Die Armee, sagte er, habe die während der Diktaturen begangenen Menschenrechtsverbrechen nie begehen wollen. Sie hätten aufgrund ihrer Disziplin nur Befehle befolgt.

Quelle: Telepolis

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