41,1%. Ein Kommentar zu einem alarmie­renden Ergebnis

Ich gestehe es nicht gerne, aber Roger Köppel hat Recht. Aller­dings nur in einem einzigen Punkt: 41,1 % an Stimmen für die Durch­set­zungs­in­itia­tive ist für die SVP kein schlechtes Ergebnis. Zwar hat sie den Abstim­mungs­kampf verloren, aber mehr auch nicht. Denn die SVP konnte für ihren offizi­ellen Kurs durchaus mobili­sieren, und das nicht zu knapp: 41,1% – das sind immerhin 1’375’058 Ja-Stimmen. Was für ein Zuwachs gegen­über den Natio­nal­rats­wahlen vom vergan­genen Jahr, bei denen die SVP 740’967 Wähler für sich einnehmen konnte! Bei der DSI-Initiative verzeich­nete sie also ein Plus von 634’091 Stimmenden! Das sind selbst­re­dend nicht alle poten­zi­elle Partei­wähler der SVP; aber es handelt sich immerhin doch um Stimm­bürger, die bereit waren, sich für eine Initia­tive auszu­spre­chen, die ausschliess­lich von der SVP befür­wortet wurde und darauf zielte, zentrale Grund­prin­zi­pien des Rechts­staats ausser Kraft zu setzen.

Die Demagogen der SVP haben deshalb in diesem Abstim­mungs­kampf auch gewonnen. Das ist nicht nur bedau­er­lich, sondern fatal und alarmie­rend. In den letzten beiden Wochen habe ich mich verschie­dent­lich gefragt, warum das in den Massen­me­dien eigent­lich niemand klar sagt. Natür­lich, die DSI-Gegner waren erst einmal erleich­tert, dass diese Volks­in­itia­tive schei­terte. Zwei Monate vorher hatte es noch nicht danach ausge­sehen; die glück­liche Wendung war eine Feier wert, und den Hinweis allemal, dass die SVP in diesem Fall mit ihrem Angriff auf die rechts­staat­liche Ordnung ausge­bremst wurde.

Aber man stelle sich für einen Moment einmal vor, es gäbe in Deutsch­land oder Frank­reich das Instru­ment einer Volks­in­itia­tive, und es wäre der AfD bezie­hungs­weise dem Front National gelungen, 41,1% der Stimmen für eine vergleich­bare Initia­tive wie die DSI zu errei­chen! Oder man stelle sich schlicht vor, die AfD oder der Front National wären in den dortigen Ländern die stärkste politi­sche Kraft im Parla­ment!

Niemand kann gänzlich ausschliessen, dass die Schweizer Medien in einem solchen Fall nicht auch auf die Leistung der „Zivil­ge­sell­schaft“ verweisen würden, die – wie gerade in der Schweiz – Schlim­meres verhin­dert habe. Aber es spricht doch einiges dafür, dass die hiesigen Medien auf ein solches Ergebnis durchaus mit einer Vielzahl kriti­scher, ja alarmierter Berichte reagieren würden. Und zwar mit Berichten, die besorgt beim Namen nennen, dass eine Regie­rungs­partei vom rechten äusseren Rand (auch rechts­ex­trem genannt) eine Verfas­sungs­norm durch­setzen will, die elemen­tare Grund­rechte, wie das Verhält­nis­mä­ßig­keits­prinzip, verletzt – und ihr dabei auch noch 41,1 % der Abstim­menden folgen! Das Ergebnis würde mutmass­lich als verhee­rend einge­stuft – und das zu Recht.

Schaut man in die Kommen­tare der liberalen Schweizer Presse zur geschei­terten Durch­set­zungs­in­itia­tive, findet man hingegen vor allem eines: ein grosses Staunen vor den unglaub­li­chen Leistungen der so genannten „Zivil­ge­sell­schaft“, die sich eindrucks­voll behauptet und ein bemer­kens­wertes Zeugnis davon ablegt habe, dass Demokratie und Rechts­staat in der Schweiz nach wie vor fest veran­kert sind. Jetzt wo man die „Zivil­ge­sell­schaft“ gewis­ser­maßen ‚hat‘, ist also eigent­lich alles im Lot – so scheint es. Warum dann noch ein Wort über die SVP verlieren und über dieje­nigen, die ihr bei dieser demokra­tie­feind­li­chen Abstim­mung gefolgt sind? Anders als bei der AfD und dem Front National, bei denen sich die Schweizer Presse nicht schwer damit tut, diese beiden Parteien – bei allen Unter­schieden – als rechts­ex­trem zu bezeichnen, scheint man sich hierzu­lande zu scheuen, die SVP dem gleichen Lager hinzu­zu­rechnen. Vielleicht, weil ja nicht alle SVP-Mitglieder rechts­ex­trem sind und die Partei zu heterogen ist; vielleicht, weil „rechts­ex­trem“ so polari­sie­rend wirkt, und das ist, sieht man von dem politi­schen Stil der SVP ab, nicht des Schwei­zers Art; vielleicht aber auch, weil viele – aus dem so genannten „bürger­li­chen“ Lager – zwar das Gefühl hatten, dass die SVP mit der Durch­set­zungs­in­itia­tive für einmal einen Schritt zu weit gegangen ist, ihr ansonsten aber doch in Vielem zuzustimmen sei. Was auch immer der Grund für diese Scheu ist, sie verne­belt die politi­sche Situa­tion.

Gleiches gilt aller­dings auch für die Rede von der „Zivil­ge­sell­schaft“, zu der gegen­wärtig alle gezählt werden, die gegen die Durch­set­zungs­in­itia­tive gestimmt haben. „Zivil­ge­sell­schaft“ steht dabei anschei­nend für demokra­tisch, rechts­staat­lich, vielleicht sogar irgendwie fortschritt­lich. Sammel­be­griffe mögen für den Moment praktisch sein, sind aber auch täuschend: „zivil­ge­sell­schaft­li­ches“ Engage­ment ist kein Garant für Demokratie; auch Pegida ist leider ein Ergebnis „zivil­ge­sell­schaft­li­chen“ Eifers. Doch auch ohne Pegida birgt der Begriff der „Zivil­ge­sell­schaft“ die Gefahr der Selbst­täu­schung. Bei der Durch­set­zungs­in­itia­tive fand dieser Teil der Stimm­bürger zwar einen gemein­samen Nenner, der sie zusam­men­hielt. Doch vergessen wir nicht: Bei der Kampagne gegen die DSI befand man sich absurder Weise in einer Situa­tion, in der man im Grunde ein bereits hoch proble­ma­ti­sches Ausschaf­fungs­ge­setz gegen eine noch unsin­ni­gere Verfas­sungs­norm vertei­digte, und zwar ein Ausschaffungs- bezie­hungs­weise Abschie­bungs­ge­setz, das zu den härtesten in Europa zählt.

Und schon sitzt die SVP in den Start­lö­chern, um im Kontext der Asylge­setz­re­vi­sion die Kampagne gegen die sogenannten „Gratis­an­wälte“ zu lancieren; zudem droht neben vielem anderen die Initia­tive „Schwei­zer­recht vor Völker­recht“. Wenn man der rechts­po­pu­lis­ti­schen SVP in ihrem Versuch, Rechts­staat und Demokratie auszu­höhlen, Einhalt gebieten will, ist es ratsam, sich vom Begriff der „Zivil­ge­sell­schaft“ zu verab­schieden, die SVP medial nicht weiter zu verklären und statt­dessen aktiv für die Idee einer demokra­ti­schen und offenen Gesell­schaft zu streiten, für eine Demokratie, die inter­na­tio­nale Verträge respek­tiert und einhält. Die erfolg­reiche Kampagne gegen die Durch­set­zungs­in­itia­tive ist dafür ein guter Ausgangs­punkt. Denn zumin­dest in einem hat Roger Köppel bestimmt Unrecht: „Alle sind ein bisschen SVP“.

Quelle: http://geschichtedergegenwart.ch/411-kommentar-zu-einem-alarmierenden-ergebnis/

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