Wer Gewalt sät

Frankreich: Kein Ende des Aufruhrs nach Erschießung eines Jugendlichen. Macron sagt Deutschland-Besuch ab

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat seinen Staatsbesuch in Deutschland wegen einer der größten Krisen seiner Amtszeit am Wochenende abgesagt. Auseinandersetzungen zwischen der einer anhaltenden Polizeigewalt überdrüssigen Bevölkerung und mittlerweile 45.000 entsandten Polizisten prägen seit Dienstag das Geschehen, nachdem in Nanterre der 17jährige Nahel Merzouk bei einer Fahrzeugkontrolle von dem Motorradpolizisten und Exsoldaten Florian M. aus nächster Nähe erschossen worden war. Die Gründe der sich in diesen Sommernächten Bahn brechenden Wut liegen allerdings deutlich tiefer als im Fehlverhalten eines Polizisten.

Hunderte Gebäude – Polizeiwachen, Finanzämter, Rathäuser, Schulen etc. – und Tausende Fahrzeuge brannten. Die Riots weiteten sich am Wochenende aufs ganze Land und bis ins belgische Brüssel aus. Unglaubwürdig wirkt der Diskurs von einer »nicht entschuldbaren Tat«, den die Staatsspitze bemüht, denn die vergangenen Monate waren von Exzessen der Einsatzkräfte geprägt. Der mittlerweile verhaftete Todesschütze M. plädierte bis zur Entlarvung seiner Lüge auf Notwehr. Polizeigewalt bleibt neben der sozialen und rassistischen Segregation besonders in den Randbezirken der Großstädte ein nie ernsthaft angegangenes Problem. Arbeitslosigkeit und sozialer Kahlschlag führen in den »Banlieues« zu einem Überdruss, der nun in Gewalt umschlägt.

Schon nach vier Nächten vermeldeten die Behörden mehr als 2.000 Festnahmen – so viele wie während der gesamten fünfwöchigen Aufstände von 2005. Damals waren die Riots vom polizeilich verursachten Tod zweier Jugendlicher in Clichy-sous-Bois ausgelöst worden. Mittlerweile dienen das »Antiseparatismusgesetz« von 2021 und ein normalisierter Ausnahmezustand als Grundlage der Polizeistaatspolitik. Seit der Lockerung der Gesetzgebung zum Schusswaffengebrauch unter dem Sozialdemokraten François Hollande 2017 sind Todesfälle vor allem bei Fahrzeugkontrollen in die Höhe geschossen. Michel Tubiana von der Menschenrechtsliga LDH bezeichnete die Gesetzesnovelle damals als »Lizenz zum Töten«.

Die UNO hat die autoritäre Ordnungsdoktrin Frankreichs seit Mai bereits dreimal verurteilt. Der tödliche Schuss von Nanterre war offiziellen Angaben zufolge bereits der dritte tödliche Schusswaffeneinsatz der Einsatzkräfte seit Jahresbeginn. Doch die Dunkelziffer liegt höher. Am 14. Juni erschossen Streifenbeamte den 19jährigen Guineer Alhoussein Camara in Angoulême bei einer Fahrzeugkontrolle. Und auch die jüngsten Ausschreitungen fordern Todesopfer: Ein 54jähriger erlag am Donnerstag bei Cayenne in Französisch-Guyana einem »Querschläger«. Nahe Rouen stürzte am selben Abend ein Jugendlicher vom Dach eines Supermarktes in den Tod. Wegen Schusswaffengebrauchs der Spezialeinheit RAID in Mont-Saint-Martin schwebt ein junger Mann seit Freitag in Lebensgefahr.

Wie in den bisherigen Krisen der Macronie von den »Gelbwesten« über die »Rentenreform«-Proteste bis zur mittlerweile verbotenen Umweltkampagne »Aufstände der Erde« wurde staatliche Gewalt dem Dialog bevorzugt. Typisch sind dafür Macrons Ausflüge im Land. Für seinen Besuch im gewaltgeplagten Marseiller Vorort Busserine am Montag vergangener Woche hatten Sondereinheiten den Bezirk abgesperrt und Einwohnern das Verlassen der Wohnblocks untersagt. Macron duldet nur noch Jubelvolk. In Frankreich schützt die Polizei den Staat, nicht die Bevölkerung.

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