Portugal: Proteste der “prekären Generation”

Quelle: http://de.indymedia.org/2011/03/302653.shtml

Einige Zeit schien es so, als hätten die großen Proteste in Griechenland gegen das neoliberale Austeritätsprogramm dazu geführt, dass andere europäische Regierungen, wie etwa in Portugal, etwas vorsichtiger agieren und versuchen, soziale Proteste einzudämmen. Diese Zeiten sind offenbar vorbei.

Im Winter 2010 beschloss die “sozialistische” Regierung in Lissabon ein Spar- und Kürzungsprogramm, einschließlich Preissteigerungen für Nahverkehr und Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitigen Lohnkürzungen. Gegen diese Maßnahmen, die ab dem 1.1.2011 gelten, gab es am 24. November 2011 einen Generalstreik. Neben dem Gewerkschaftsverband CGTP, der der Kommunistischen Partei Portugals näher steht, rief der sozialdemokratische Verband UGT ebenfalls zum Generalstreik auf – obwohl die UGT der regierenden Sozialistischen Partei näher steht. Nach Gewerkschaftsangaben haben 3 Millionen Menschen gestreikt. Allerdings war die öffentliche Wirksamkeit des Streiks gering und außerhalb der Hauptstadt war der Streik kaum spürbar. Dies schien darauf hinzudeuten, dass viele zwar unzufrieden mit der Regierung sind, aber gleichzeitig wenig Hoffnungen hatten, die Verschlechterung ihrer Lebensumstände abwenden zu können.

Das nächste politische “Barometer” war die Präsidentschaftwahl am 23. Januar 2011. Das staatliche Austeritätsprogramm war bereits in Umsetzung und die Parteien, die dafür verantwortlich sind, waren bekannt. Die soziale Unzufriedenheit führte aber nicht zu einem Stimmenzuwachs für die linken Parteien. Der Kandidat der Kommunistischen Partei kam auf 7,1 Prozent der Stimmen und der linkssozialdemokratische “Bloco de Esquerda” (“Linksblock”, vergleichbar mit der deutschen Linkspartei) entschied sich dafür, den Kandidaten der regierenden Sozialisten zu unterstützen – der dann gegen den konservativen Amtsinhaber verlor. Auch dies war kein Vorzeichen dafür, dass soziale Proteste zunehmen würden. Zwar deutete die niedrige Wahlbeteiligung von etwa 46 Prozent (gegenüber ca. 60 Prozent 2006 und 2009) auf zunehmende Unzufriedenheit, daraus wuchs aber weder eine Zustimmung für die linke Opposition, noch hatte es dazu führte, dass soziale Proteste zunahmen. Zumindest dem Anschein nach..

Im Bezug auf die sozialen Proteste wird die Bewertung seit dem 12. März 2011 anders ausfallen müssen. Die Initiatoren der Proteste waren weder Parteien noch Gewerkschaften, sondern prekarisierte Unorganisierte. Und trotzdem (oder gerade deswegen) demonstrierten an diesem Tag mehr als 200.000 Menschen in Portugal gegen die zunehmende Prekarisierung ihrer Lebensumstände, sei es durch Arbeitslosigkeit oder Lohnkürzungen. Allein in Porto waren etwa 80.000 Menschen auf der Straße – bei einer Einwohnerzahl von 400.000. In Porto waren Parteifahnen waren ebenso wenig zu sehen wie die Gewerkschaftssymbole. Neben vielen selbstgebastelten Schildern und einigen wenigen Portugalfahnen waren lediglich Transparente der anarchosyndikalistischen AIT-SP erkennbar.

Noch ist offen, ob der 12. März lediglich ein kurzes Strohfeuer ist oder weitere selbstorganisierte Proteste folgen. Ebenso denkbar ist, dass die linken Oppositionsparteien und die Gewerkschaften versuchen, die sichtbar gewordenene Unzufriedenheit doch zu kanalisieren und daraus zu schöpfen. Sicher ist aber: Die Zeit der schweigenden Unzufriedenheit ist in Portugal vorbei.

Posted in Arbeitskampf, Aus aller Welt, News | Leave a comment

Die fast übersehene Militärintervention

Quelle: http://www.jungewelt.de/2011/03-16/035.php

Der Einmarsch von Soldaten des Golf-Kooperationsrates in Bahrain fand weitgehend unter Ausschluß der internationalen Öffentlichkeit statt. Zum einen hat die japanische Katastrophe die mediale Aufmerksamkeit so sehr auf sich gezogen, daß selbst die aktuellen Geschehnisse in der arabischen Welt als Randerscheinungen wahrgenommen werden. Zum anderen hat das westliche Medienkartell ohnedies kein großes Interesse daran, die ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Königreichs groß zu thematisieren.

Der Golf-Kooperationsrat, dem Saudi-Arabien, die Emirate, Oman, Kuwait, Katar und Bahrain angehören, ist innerhalb der Arabische Liga am stärksten für die Einrichtung einer Flugverbotszone zur Unterstützung des libyschen Aufstandes eingetreten. Während die vom saudischen Königshaus angeführte arabische Reaktion es in Libyen mit den Aufständischen hält, schickt sie nach Bahrain Truppen, um die dortige Volksbewegung militärisch niederzuschlagen. Obwohl deren Forderungen bisher nur auf die Durchführung von Reformen und nicht auf einen Regimewechsel gerichtet waren.

Die dem monarchistischen Regime des Inselstaates von den Golf-Reaktionären geleistete »brüderliche Hilfe« dürfte wohl kaum ohne Absprache mit Washington erfolgt sein. In Bahrain ist immerhin die amerikanische Fünfte Flotte stationiert, was ein US-höriges Regime zwingend voraussetzt. Versuche, die Rebellion wie in Libyen in eine prowestliche Richtung zu drehen, hätten dort kaum Erfolgsaussichten. Denn hier handelt es sich, wenn auch nicht nur, um eine Bewegung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit gegen die sunnitische Machtelite. Da bietet sich als Verbündeter allemal eher Teheran als Washington an. Zumal in Bah­rain der Zusammenhang zwischen bodenständiger Diktatur und US-Hegemonie offenkundig ist.

Die USA haben die Invasion des Golf-Kartells deshalb auch keineswegs verurteilt, sondern nur um Zurückhaltung gebeten. Die »Rechte des Volkes von Bahrain« sollten respektiert werden, heißt es aus dem State Department. Während gegen das Ghaddafi-Regime die schwersten Verbalgeschütze, bis hin zum Vorwurf des Völkermordes, aufgefahren werden, behandelt man die Massaker vor den Toren der US-Marinebasis dezent als »innere Angelegenheit«. Nicht aber die Massenproteste, die immerhin eine militärische Intervention von außen nach sich gezogen haben.

Zu einem Zeitpunkt, an dem der imperialistische Westen noch strategische Überlegungen anstellt, wie er der »libyschen Revolution« – mittels direkter oder indirekter Intervention – zum Sieg verhelfen kann, haben seine arabischen Verbündeten schon ihre konterrevolutionären Truppen marschieren lassen. Der bewaffnete Vorstoß der arabischen Reaktion wird es den Westmächten aber künftig schwerer machen, sich als Förderer arabischer Revolutionen aufzuspielen. Denn er hat die Doppelbödigkeit ihrer Politik offengelegt.

Posted in Arbeitskampf, Aus aller Welt, News | Leave a comment

Nordafrika kämpft für Demokratie – die Schweiz muss sich solidarisch zeigen!

Quelle: http://www.solidaritaets-petition.ch/

Öffentlicher Aufruf anlässlich der dringlichen parlamentarischen Debatte zu Nordafrika am 16. März

Sehr geehrte Damen und Herren ParlamentarierInnen
Sehr geehrte Damen und Herren BundesrätInnen und Bundesräte

Ihre Bundeshausfraktionen haben beschlossen, am 16. März eine dringliche Debatte zur Krise im Nordafrikanischen Raum abzuhalten. Die unterzeichnenden Einzelpersonen und Organisationen, möchten Ihnen nachfolgend einige Punkte in Erinnerung rufen:

Als in den vergangenen Wochen Zigtausende Flüchtlinge aus Libyen in Tunesien und Ägypten eintrafen, kümmerten sich die lokalen Bevölkerungen um sie. Obwohl selber von politischen Umwälzungen und Armut betroffen, trugen sie das Wenige zusammen, das sie hatten, um den Ankommenden zu helfen. Derweil wurden in Europa und der Schweiz Kata­strophenszenarien an die Wand gemalt, weil erste Flüchtlinge aus Tunesien die Reise übers Mittelmeer angetreten haben. Millionenbeträge sollen bereitgestellt, Grenzwächter und gar die Armee sollen mobilisiert werden, um die «Eindringlinge» abzuwehren und zu­rückzuschaffen.

>> Dieses Verhalten ist beschämend. Gegenüber all jenen Menschen, die sich in den nordafrikanischen Staaten unter Lebensgefahr für Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzen, zeigen sich die Schweiz und Europa egoistisch, arrogant und zu­tiefst unsolidarisch. Wenn jetzt «der Maghreb brennt», so ist es unsere einfachste und ab­solute Pflicht, beim Löschen zu helfen. Umso mehr auch deswegen, weil wir den Brand mit gelegt haben, indem wir über Jahre die nordafrikanischen Diktaturen mit gestützt haben. Wie eine Leserbriefschreiberin so treffend bemerkte: «Diese Menschen sind aktuell in Ge­fahr, nicht gefährlich» (Tages-Anzeiger, 4.3.2011).

Als «Wirtschaftsflüchtlinge» werden die Ankommenden beschimpft. Dabei wird ausser Acht gelassen, dass unsere Wirtschaftspolitik – interessiert an billigen Rohstoffen, am Ver­kauf teurer Kapitalgüter und an billigen Feriendestinationen – wesentlich zur Armut und zur Arbeitslosigkeit in diesen Ländern beigetragen hat. Oder zur Unterdrückung politischer Freiheit oder der Verletzung von Menschenrechten, indem über Jahre Waffen in arabische Länder exportiert worden sind.

>> Menschen, die migrieren, um ihr eigenes Überleben und das ihrer Familie zu sichern, sind keine «Wirtschaftsflüchtlinge», sondern Armutsflüchtlin­ge. Ihnen werden wesentliche Grund- und Menschenrechte verweigert. Wie etwa die wirt­schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Zur Freiheit gehört auch das Recht auf Bewegungsfreiheit, das wir für uns selbstverständlich in Anspruch nehmen.

Von den Umbrüchen in den nordafrikanischen Staaten wird zu Recht von Revolutionen ge­sprochen. Grundlegende Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaft­lichen Verhältnisse brauchen Zeit.

>> Es reicht nicht, dass die Schweiz ihre Unterstützung der demokratischen Kräfte in Nordafrika beteuert, wenn sie nicht gleichzeitig die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den betreffenden Ländern neu gestaltet. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, die eine eigenständige Entwicklung der nordafrikanischen Länder ermöglicht, statt sie den Interessen der Schweiz unterzuordnen.

Wir, die unterzeichnenden Personen und Organisationen, sind empört darüber, wie sich PolitikerInnen, Regierungsmitglieder und Parteien über die MigrantInnen aus den nordafrikanischen Staaten in den Medien geäussert haben, und weisen ihre Forderung nach repressiven Massnahmen zurück. Ebenso verurteilen wir, dass das Thema für den Wahlkampf instrumentalisiert wird.

«Sichere Grenzen» gibt es nicht, es gibt nur ein sicheres und solidarisches Zusammenle­ben! In diesem Sinne fordern wir die eidgenössischen und kantonalen ParlamentarierInnen, den Bundesrat sowie die kantonalen Regierung auf:

– sich für eine offene und solidarische Asyl- und Flüchtlingspolitik einzusetzen, der die poli­tischen sowie die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte zugrunde lie­gen;
– sich für eine andere Wirtschaftspolitik einzusetzen, die eine eigenständige Entwicklung der nordafrikanischen Länder und die Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglicht statt sich am Freihandel und den Interessen des Nordens orientiert;
– die Potentatengelder an die jeweiligen Staaten zurückzuführen und ihre Verwendung de­mokratisch gewählten Institutionen anzuvertrauen;
– jene Kräfte zu unterstützen, die sich für Demokratie einsetzen, im Sinne einer Teilhabe aller am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben

Posted in Aus aller Welt, Schweiz | Leave a comment

Jetzt geht es ans Eingemachte

Quelle: http://jungle-world.com/von-tunis-nach-teheran/963/

Sehr bemerkenswert, diese Meldung; Schüsse & Blendgranaten auf einer Demonstration in Saudi Arabien. Also weniger die Schüsse und Blendgranaten sind bemerkenswert, sondern der Umstand, daß in Saudi Arabien eine richtige Demonstration stattgefunden hat, die aufgelöst werden mußte.

Wenn in Saudi Arabien etwas passiert, wenn es dort auch nur dezent instabil wird, dann dürften die Ölpreise explodieren, die Amerikaner panisch werden, die Chinesen endlich auf der Landkarte gucken, wo dieser blöde Nahe Osten überhaupt genau liegt, dann dürften überhaupt die Fetzen fliegen. Die saudischen Hardliner haben schon in Bahrain mit Beratung und personeller Aushilfe vorgemacht, wie sie sich den letztgültigen sachgerechten Umgang mit Demonstranten vorstellen: man bringt sie mit Hilfe von Söldnern um.

In Saudi Arabien trifft alles aufeinander; wahnwitziger Reichtum und von aller Prosperität abgehängte Minderheiten, Stammesgesellschaft und neoabsolutistische Monarchie, religiöser Fanatismus und praktische Weltläufigkeit, Libertinage hinter Palastmauern und finsterstes Patriarchat, ein High-Tech-Mittelalter, das den weltweiten Ölfluss letztlich garantiert – denn wer immer bei der Ölproduktion abdreht oder ausfällt, die Saudis haben es bisher ausgeglichen.

Saudia Arabien, das ist das Land, wo gerade ein paar ganz besonders langbärtige Rechtgläubige die Buchmesse in Riad gestürmt haben, denen selbst dieses harmlose, zarte Schönheitspflästerchen einer Pseudoliberalisierung schon zu viel war; es ist aber auch das Land, aus dem der Blogger Ahmed al Omran stammt, der im Guardian schreibt:

We are sick and tired of the status quo; we want change and we want it now. The demands are clear and simple: a constitutional monarchy, the rule of law, justice, equality, freedom, elections, and respect of basic human rights. Is this too much to ask in this age and time?

Präziser und knapper kann man es nicht sagen.

Aber wir ahnen es schon, wenn Saudi Arabien beginnt zu brodeln, dann wird ein Wehklagen losgehen, das die Rolle dieser Monarchie als Promoter und Financier des weltverheerenden Wahabismusfeldzuges schlicht unterschlagen wird, um ihre Bedeutung als Stabilitätsfaktor zu preisen, und recht bald wird es auch heißen, die Zukunft Israels hänge vom Schicksal des Hauses Saud ab. Wetten?

Die letzten Antiimperialisten, die gerade das Schicksal Gaddafis so sehr verstört, werden sich natürlich über Probleme bei den Saudis freuen, nur dumm, daß jenseits der langbärtigen wahabitischen Problemträger, die, wenn sie in Widerspruch zum Königshaus stehen, noch einmal besonders langbärtig sind, die saudische Opposition die guten alten revolutionär-liberalen Forderung von 1848 vorträgt.

(Oder ist in Wahrheit alles ganz anders? Richten sich die Proteste in Saudi Arabien vielleicht doch gegen den “Neoliberalismus” und eröffnen somit der “globalen Linken” ganz neue Perspektiven? Öh.)

Posted in Aus aller Welt, News | Leave a comment

Erste Betrachtungen zur Situation in Libyen

Quelle: http://gis.blogsport.de/2011/03/07/erste-betrachtungen-zu-situation-in-libyen/

Es ist noch zu früh um eine endgültige Bewertung der Ereignisse in Libyen vorzunehmen, da die Situation sehr unübersichtlich ist und wir uns über nichts sicher sein können. Die Tage des Obersten scheinen gezählt, dennoch setzt er seinen erbitterten Widerstand fort, obwohl die internationale kapitalistische Gemeinschaft alle politischen (Internationaler Strafgerichtshof) und ökonomischen Waffen (Embargo, Wirtschaftssanktion, Einfrieren von Auslandsvermögen) ins Spiel bringt.

Vor diesem Hintergrund können wir gegenwärtig nur einige Betrachtungen anstellen.
Die Revolte in Benghazi und anderen Städten in Cyrenica als auch in kleineren Städten südlich von Tripolis haben das angespannte Verhältnis zwischen Gaddafi und seinem Stamm und anderen libyschen Stämmen, die sich über 40 Jahre der Diktatur des Obersten unterordnen mussten, zerbrochen. Davon zeugt auch die Forderung nach Unabhängigkeit die von der Stammesbourgeoisie von Cyrenica und Fezzan erhoben wurde, die niemals wirklich befriedet werden konnte.

Sie sind versessen darauf die Öl-Einnahmen eigenständig zu kontrollieren, was bis vor wenigen Wochen das Vorrecht des „grünen” Diktators war. Es ist kein Zufall, dass die Revolte im Osten des Landes ausgebrochen ist, wo sich schon eine provisorische Regierung bildete, die die Aufgabe hat, die Kontrolle der Ölfelder und ihre Nutzung und Ausbeutung durch internationale Firmen zu sichern. Die vorherige Stabilität basierte vorrangig auf Gewalt. Gaddafi und seine Söhne hatten die uneingeschränkte Kontrolle über die Armee, die Polizei und die Luftwaffe. Sie kontrollierten aber auch die Ölquellen und das Management der nationalen Öl- und Gasunternehmen. Aus diesen Öleinnahmen gaben sie Gelder an verbündete und untergebene Stammesführer ab, je nachdem ob diese politisch nützlich oder aber zu einer potentiellen Gefahr für die Herrschaft der „Rais” werden konnten. Diese Arrangements sind nun aufgehoben.
Die größeren Stämme wie die Warfalla, die das Gebiet südlich von Tripolis kontrollieren, haben sich bereits früher aufgelehnt. 1993 inmitten des internationalen Embargos nach der Lockerbie-Affäre unternahmen sie den Versuch eines Staatsstreichs. Dieser wurde von Gaddafi brutal niedergeschlagen. Dutzende wurden öffentlich von Erschießungskommandos exekutiert und über 200 ins Gefängnis geworfen. Die Zuwayya die im Gebiet zwischen Tripolis und Begnhazi leben, die Misurata und die Abu Llail, die das Gebiet der Ölpipelines im Osten von Cyrenica kontrollieren, ergriffen die Initiative um an der Spitze der öffentlichen Proteste dem über 40 Jahre währenden Spiel ein Ende zu setzen. Alle größeren Stämme verfügen nun über Milizen und kleinere Vorräte an leichten Waffen aus Kasernen und Armeedepots, die sie zu Beginn der Revolte angegriffen hatten. Gegenwärtig scheint die libysche Krise das Ausmaß eines Bürgerkrieges zwischen Stämmen oder vielmehr bürgerlichen Fraktionen anzunehmen, die um die ökonomische und politische Kontrolle eines Landes kämpfen, welches nach Nigeria der zweite Erdölexporteur Afrikas ist, und diesbezüglich weltweit an zwölfter Stelle steht.

Die zweite Betrachtung betrifft die Möglichkeit eines Bruchs des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses im energiereichen Mittleren Osten und den daraus folgenden Konsequenzen. Es kommt nicht von ungefähr dass drei Flugzeugträger der USA auf dem Weg zum Golf von Sirte sind, und der britische Premier Cameron ebenso die Verlegung von Schiffen angeordnet hat. Der britische und amerikanische Imperialismus macht sich nicht nur über die Zukunft der libyschen Öl- und Gasvorkommen Sorgen. Diese sind wichtig, aber in der internationalen Energieverteilung nicht entscheidend. Was ihnen wirklich ernsthaft Sorge bereitet ist eine Ausdehnung der Krise auf die ganze arabische Halbinsel.

Der Wind der Revolte durchbläst Jemen, Oman und Bahrain in gefährlicher Nähe zu Saudi-Arabien, dem größten Öllieferanten der USA. Wenn Riad vom Sturm ergriffen würde, könnte dies zu einer Situation führen, der nicht mehr einfach nur durch militärische Manöver, psychologische Abschreckung und politischen Druck beizukommen wäre. Wenn es um die Öllieferungen des Nahen Ostens geht hört jeder Spaß auf. Der US-Imperialismus hat bereits zwei noch längst nicht beendete Kriege angezettelt und führt einen energischen Kampf um den Handel und Transport des schwarzen Goldes von Zentralasien zu den Küsten des Mittelmeers zu sichern. In Anbetracht einer kritischen Situation in den Häfen Arabiens wird er nicht zögern seine militärische Macht weiter ausspielen. Vorläufig haben sich die USA darauf verlegt abzuwarten. Aber auch China, das gegenwärtig in Niger, Nigeria, im Sudan und im Tschad sehr präsent ist, wird nicht einfach nur zusehen. Gleichzeitig sind Hunderttausende Opfer der Machtkämpfe der rivalisierenden Fraktionen der Herrschenden und des internationalen Spiels der Imperialisten auf der Flucht.

Für die libysche ArbeiterInnenklasse gibt es keine Möglichkeit zur Befreiung, wenn sie sich weiterhin vom Tribalismus absorbieren lässt und den opportunistischen Losungen der bürgerlichen Opposition nach „Freiheit” und „Demokratie” auf den Leim geht. Diese „Freiheit” und „Demokratie” wird nur eine neuere, effektivere politische und ideologische Basis für die fortgesetzte Ausbeutung und Unterdrückung sein. Sowohl die Stammesfehden und bürgerlichen Machtkämpfe als auch die destruktive Dynamik eines immer gierigeren Imperialismus haben eine tiefere Wurzel. Der wirkliche Grund der Krise liegt im ökonomischen System, welches weiterhin unter dem Namen Kapitalismus sein Unwesen treibt.

Posted in Arbeitskampf, Aus aller Welt, News | 1 Comment

Menschenunwürdige Nothilfe in der Schweiz

Die Bundesverfassung garantiert allen Menschen in unserem Land, die in Schwierigkeiten geraten, Hilfe in der Not. Mit dieser minimalen Hilfe soll die Würde des Menschen geschützt werden. Doch ausgerechnet mit der Nothilfe wird die Würde des Menschen nun systematisch verletzt. Seit einigen Jahren dient ein minimales Nothilfe-Regime dazu, abgewiesene Asylsuchende möglichst rasch aus der Schweiz zu vertreiben. Mit abgelegenen und zum Teil tagsüber geschlossenen Unterkünften, einem minimalen Betrag von 4.30 bis 12 Franken fürs tägliche Überleben und bürokratischen Schikanen werden diese Menschen sozial isoliert.

Die Hoffnungslosigkeit ist gewollt und das Elend künstlich geschaffen. Rund 5800 Personen leben teilweise während Monaten und Jahren unter diesen prekären Bedingungen. Die einen, weil ihnen die Papiere für eine Rückkehr ins Heimatland fehlen, andere aus Angst vor dem, was sie zu Hause erwarten würde.

Das Nothilferegime ist eine Sackgasse für alle: Für die Betroffenen, weil sie kaum mehr Chancen haben, aus diesem menschenunwürdigen System herauszukommen und für die Behörden, weil das Ziel verfehlt wird, die abgewiesenen Asylsuchenden zur Ausreise aus der Schweiz zu bewegen und die Schweiz unattraktiv zu machen. Stattdessen werden auf Kosten der Menschenrechte massive Verwaltungskosten verursacht.

Trotzdem empfiehlt das Bundesamt für Migration den Kantonen in seinem Bericht zur Nothilfe, die Repression weiter zu verstärken. Und dies, obschon der Bericht auch klar aufzeigt, dass mit dem Nothilferegime die Ziele nicht erreicht werden und es letztlich eine Sackgasse für alle ist.

Kinder, unbegleitete Minderjährige, traumatisierte Personen, Frauen, Alte und Kranke leiden am stärksten unter dieser menschenunwürdigen Behandlung. Es ist höchste Zeit, das ganze Nothilfe-Regime grundsätzlich zu überdenken und einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Helfen Sie mit! Unterschreiben Sie unsere Forderungen an Bundesrätin Simonetta Sommaruga und an die kantonalen PolizeidirektorInnen.

Petition online unterschreiben:

http://www.nothilfe-kampagne.ch/de/index.cfm/treeID/7

Weitere Infos:
Medienmitteilung vom 3. Februar 2011
Bericht: Nothilfe für ausreisepflichtige Asylsuchende (pdf)
Galerie: Leben in Baracken
www.nothilfe-kampagne.ch
Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht
Amnesty International Schweiz

Posted in News, Schweiz | Leave a comment

Bündnis der EU mit Libyen bei der Flüchtlingsbekämpfung

Von Martin Kreickenbaum
Quelle: World Socialist Web Site

Die westlichen Großmächte bereiten derzeit ein militärisches Eingreifen gegen Libyen vor und führen dazu „humanitäre“ Vorwände ins Feld. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat erklärt, man könne „nicht zusehen, wie Menschen ermordet werden“. Doch genau das hat die Europäische Union über die letzten Jahre getan, als sie mit den Diktaturen in Libyen und Tunesien bei der Flüchtlingsabwehr eng zusammenarbeitete.

Seit 2003 ist in Nordafrika mit Hilfe der EU ein System von Flüchtlingslagern entstanden. Die Regime von Ben Ali und Gaddafi erledigten die Drecksarbeit für die EU und hinderten afrikanische Flüchtlinge auf brutale Weise daran, nach Europa zu gelangen. Die europäischen Regierungen unterstützten das und förderten es mit Millionen Euro.

Der britische Premierminister Tony Blair hatte 2003 angesichts steigender Asylbewerberzahlen im Vereinigten Königreich eine „neue Vision für Flüchtlinge“ vorgestellt, die aus zwei Kernpunkten bestand: Der Errichtung von Aufnahmelagern für Flüchtlinge außerhalb des Territoriums der EU und der militärischen Intervention in Krisengebieten, um Fluchtbewegungen in Richtung Europa schon im Keim zu ersticken.

Die EU-Innenminister und das Europaparlament lehnten solche Pläne zwar offiziell ab, doch auf dem EU-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs im Juni 2003 in Griechenland wurde unter der Hand grünes Licht für Blairs Lagerpläne gegeben. Innerhalb von zwölf Monaten sollten erste Pilotprojekte gestartet und bewertet werden.

Ein Jahr später preschte der damalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) im Zusammenhang mit der Rettung von 37 afrikanischen Flüchtlingen im Mittelmeer durch das Schiff „Cap Anamur“ mit einer ähnlichen Idee zur Auslagerung der Flüchtlingsabwehr vor, über die er sich mit seinem damaligen italienischen Amtskollegen Giuseppe Pisanu abgesprochen hatte.

Auf dem Treffen der EU-Innenminister im Oktober 2004 erntete Schily viel Zustimmung für seine Pläne. Die Innenminister beschlossen die Errichtung von fünf Aufnahmelagern in Nordafrika, die allerdings nicht unter Leitung der EU stehen sollten. Den Mitgliedsstaaten wurde damit faktisch ein Freibrief ausgestellt, mit den Staaten Nordafrikas auf bilateraler Ebene Abkommen zur Flüchtlingsabwehr zu schließen. Dass mit diesen Plänen eine massive Verletzung von Grundrechten und der Genfer Flüchtlingskonvention verbunden war, ignorierten die Innenminister.

Insbesondere die italienische Regierung schuf dann schnell Fakten. In Tunesien finanzierte Italien insgesamt 13 Abschiebegefängnisse, in denen Flüchtlinge gefoltert und misshandelt wurden.

Bereits im Jahr 2003 schloss die Regierung Berlusconi auch mit Libyen ein Geheimabkommen zur Rücknahme illegaler Einwanderer. Italien renovierte ein Flüchtlingslager im Norden des Landes und errichtete zwei neue im Süden mitten in der Wüste. Italien lieferte darüber hinaus 100 Schlauchboote, 3 Reisebusse, 6 Geländewagen, Nachtsichtgeräte, Unterwasserkameras, 12.000 Wolldecken und 6.000 Matratzen. Dass die libyschen Behörden nicht gerade zimperlich mit Flüchtlingen umgehen, war der italienischen Regierung voll bewusst, denn die Lieferung umfasste auch 1.000 Leichensäcke.

Die enge Zusammenarbeit mit Libyen war nicht nur bemerkenswert, weil das Regime von Gaddafi seit 1992 international geächtet war und erst durch die Anstrengungen der italienischen Regierung und später der gesamten EU wieder international hoffähig gemacht wurde. Libyen hatte auch, was den Flüchtlingsschutz angeht, einen äußerst schlechten Ruf.

In dem Land leben rund zwei Millionen Flüchtlinge und Wanderarbeiter aus ganz Afrika, aber die Regierung hat die Genfer Flüchtlingskonvention nie unterzeichnet und weigerte sich daher auch, mit dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) zusammenzuarbeiten. Flüchtlinge und Arbeitsmigranten sind in Libyen grausamen Verfolgungen ausgesetzt und gegenüber den Sicherheitsbehörden völlig recht- und schutzlos.

Bereits im Jahr 2000 wurden bei rassistischen Pogromen rund 150 Schwarzafrikaner erschlagen. In den insgesamt 15 Flüchtlingslagern des Landes, in denen bis zu 60.000 Flüchtlinge zusammengepfercht sind, herrschen entsetzliche Zustände. Es gibt weder ausreichend Betten, noch Nahrung für die Insassen. Die Migranten sind Folter und Misshandlungen ausgesetzt, Abschiebungen werden ohne Ansehen der rechtlichen Situation der Betroffenen durchgeführt.

Die Lebensumstände in den Lagern waren so katastrophal, dass Insassen zum Teil ihr letztes Hab und Gut an ihre Wächter bezahlten, um den Lagern entfliehen zu können. Für viele endete die Reise durch die Wüste nach Niger jedoch tödlich. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehr als 1.600 Toten in der Sahara.

Trotzdem flog Italien seit 2003 regelmäßig Flüchtlinge, die auf der Mittelmeerinsel Lampedusa gestrandet waren, direkt wieder nach Libyen zurück. Es finanzierte den libyschen Behörden zwischen 2003 und 2005 außerdem 60 Abschiebeflüge, mit denen Flüchtlinge von Libyen weiter deportiert wurden. Wegen der guten Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene und bei der Flüchtlingsbekämpfung pries Ministerpräsident Silvio Berlusconi Gaddafi im Oktober 2004 anlässlich der Einweihung einer Gaspipeline von Libyen nach Italien als „einen guten Freund und freiheitsliebenden Regierungschef“.

Doch nicht nur die italienische Regierung, auch die maltesische und die deutsche begannen nun Gaddafi in der Hoffnung zu hofieren, lukrative Verträge für die heimische Wirtschaft abzuschließen und die Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsabwehr zu intensivieren. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stattete Libyen 2004 zu diesem Zweck ein Besuch ab.

Die Europäische Union hob im Oktober 2004 das Waffenembargo gegen Libyen auf und betonte am selben Tag, sie wolle im Bereich der Migrationsregulierung enger mit Libyen zusammenarbeiten. Im selben Jahr machte sich eine „technische Mission“ der EU-Kommission auf den Weg nach Libyen und inspizierte die Grenzkontrollen und Flüchtlingslager. Sie kritisierte zwar die dort herrschenden Haftbedingungen, schlug aber eine Intensivierung der Zusammenarbeit vor, die sich zunächst in Schulungen für libysche Grenzpolizisten und Materiallieferungen niederschlug.

Im Jahr 2007 reiste eine Delegation der europäischen Grenzschutzagentur Frontex nach Libyen. In ihrem Bericht dokumentierte sie erneut massive Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem empfahl Frontex die Lieferung von Kommandoständen, Überwachungsradars, Patrouillenbooten und anderen Ausrüstungsgegenständen nach Libyen.

Im selben Jahr unterzeichnete die EU eine Absichtserklärung mit Libyen, die von der damalige EU-Kommissarin für Außenbeziehungen Benito Ferrero-Waldner euphorisch gepriesen wurde: „Unsere Vereinbarung wird nicht nur die Beziehungen zwischen der EU und Libyen stärken, sondern auch wesentlich zu der aktuellen Politik Libyens beitragen, seine Position in der internationalen Gemeinschaft zu festigen.“

Das in der Absichtserklärung geplante Rahmenabkommen ist allerdings bis heute nicht zustande gekommen. Bisher führte nur die italienische Küstenwache auf bilateraler Ebene gemeinsame Patrouillenfahrten vor der Küste Libyens durch. Dabei wurden wiederholt Flüchtlingsboote abgedrängt und beschossen.

Trotzdem hat die EU in den letzten Jahren rund 60 Millionen Euro in Libyen investiert, um die Flüchtlingsabwehr in Nordafrika zu perfektionieren. Geplant sind aber noch weitergehende Maßnahmen. So soll an den Südgrenzen Libyens zum Tschad und zum Niger ein Radar- und Satellitengestütztes Grenzkontrollsystem errichtet werden. Die Kosten von rund 300 Millionen Euro sollen zwischen Italien und der EU aufgeteilt werden. Die Durchführung soll die italienische Finmeccanica-Gruppe übernehmen, der größte italienische Rüstungskonzern.

Die Flüchtlingsabwehr der EU in Zusammenarbeit mit dem libyschen Regime haben Tausende Flüchtlinge mit dem Tod auf dem Mittelmeer und in den Wüsten Libyens bezahlt. Die Verantwortung dafür tragen in erster Linie die europäischen Regierungen. Sie haben nicht nur zugeschaut, wie das Regime Gaddafis Migranten und Flüchtlinge drangsaliert, foltert und in den sicheren Tod schickt, sondern die Regierung in Tripolis dabei auch nach Kräften logistisch und finanziell unterstützt.

Nun befürchten die europäischen Regierungen, dass der Aufstand gegen das Gaddafi-Regime eine neue Flüchtlingswelle über das Mittelmeer auslöst. Die EU hat darauf mit der Entsendung von Hubschraubern, Schnellbooten und Kriegsschiffen reagiert und eine schnelle Eingreiftruppe der Grenzschutzagentur Frontex an die libysche und tunesische Küste verlegt, um die Flucht auf das europäische Festland um jeden Preis zu verhindern.

Der Umgang mit den Flüchtlingen offenbart darüber hinaus die tiefe Zerstrittenheit innerhalb der Europäischen Union. Schon als vor zwei Wochen 6.000 Flüchtlinge aus Tunesien die kleine italienische Insel Lampedusa erreichten, entbrannte ein heftiger Streit über ihre Verteilung. Die Mittelmeeranrainerstaaten Italien, Malta, Spanien, Griechenland und Frankreich verlangten eine Aufteilung der auf der Insel Gestrandeten auf alle Staaten der EU mittels eines Quotenverfahrens, was von den nördlichen EU-Mitgliedsstaaten wie Großbritannien, Schweden, Österreich und vor allem Deutschland strikt abgelehnt wurde.

Der Umgang mit den Flüchtlingen war dabei bizarr. Der italienische Innenminister Roberto Maroni verhängte den Notstand über die Insel Lampedusa, sprach von einer „humanitären Katastrophe“ und malte das Schreckgespenst eines „Exodus von biblischem Ausmaß“ an die Wand, weigerte sich aber gleichzeitig, das leer stehende Aufnahmelager für Flüchtlinge auf Lampedusa zu öffnen. Die Flüchtlinge mussten zunächst im Freien campieren und waren auf die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung angewiesen, die die Gestrandeten mit Lebensmitteln und Unterkünften versorgte.

Die „Das Boot ist voll“-Strategie der EU-Innenminister führte dazu, dass sie sich nur auf einen Einsatz der Grenzschutzagentur Frontex einigen konnten. Hier beteiligt sich auch Deutschland mit der Entsendung von Hubschraubern zur Seeaufklärung.

Die Differenzen innerhalb der EU über die Aufnahme von Flüchtlingen blieben auch angesichts der dramatischen Ereignisse in Libyen bestehen. Während über 100.000 Arbeiter und Familien vor dem dort stattfindenden Gemetzel nach Ägypten und Tunesien fliehen, weigert sich die EU strikt, die Grenzen für diese Menschen zu öffnen. Flüchtlingsboote werden durch Frontex auf See abgedrängt und zur Umkehr gezwungen.

Die Forderung an das Regime in Libyen, die Menschenrechte zu achten und den Freiheitsdrang der Bevölkerung zu respektieren, wird völlig dadurch konterkariert, dass die EU das Recht auf Asyl und Sicherheit an Leib und Leben mit Füßen tritt.

Posted in Aus aller Welt, News | 1 Comment

Solidarität mit den ArbeiterInnen in Wisconsin!

Quelle: www.trueten.de

Seit Wochen kämpfen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im U.S. Bundesstaat Wisconsin gegen die Verabschiedung des Gesetzes AB11. Mit dem Gesetz sollen den im ca. 300.000 im öffentlichen Dienst Beschäftigten das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen und damit Tarifverträge, sowie Renten und Krankenversicherung verwehrt werden.

Die Beschäftigten sollen künftig zwischen 17% bis 18% aus ihren Gehaltsscheck zur Krankenversicherung und Renten beitragen, was offener Lohnraub ist. Doch nicht genug: Die Löhne sollen für die nächsten drei Jahre eingefroren werden.

Wenn sich dieses Union-Busting Manöver durchsetzt, sind weitreichende Verschlechterungen für die Bevölkerung zu erwarten. Ein ähnliches Gesetz soll in Ohio, Indiana, Tennessee und Florida eingeführt werden. Auch in den USA reagiert der Staat auf die Krise mit Kürzungen bei sozialen Diensten, Studiengebühren für die öffentlichen Hochschulen. Auf der anderen Seite werden auch dort die Reichen immer reicher und zahlen immer weniger Steuern: Der Anteil der Unternehmenssteuern an den Steuereinnahmen beträgt weniger als 7%. Während dessen wird der arbeitenden Bevölkerung vorgeworfen, sie wären gierig und würden in den zu viel in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten fordern.

Perfektes Timing also, um ArbeiterInnenrechte anzugreifen und zu zerschlagen, was von der Arbeiterbewegung in der Vergangenheit erkämpft wurde? Die Spitze der Angriffe sind die auf die Gewerkschaften, deren Arbeit als “unamerikanisch” verunglimpft wird. Damit ist gleichzeitig der opportunistische Kurs einiger Gewerkschaften gescheitert, die bereits mit der Bush Regierung einen Deal ausmachten, der 100 Millionen US Dollar in den Staatshaushalt durch eine Lohnkürzung von 3% im öffentlichen Dienst spülte. Im Jahr 1971 hatten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes sich auf ein gesetzlich verankertes Stillhalteabkommen eingelassen, das in den letzten 40 Jahren für relative Ruhe in diesem Sektor sorgte. Viele der tariflich gesicherten Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst wurden in den letzten Jahren privatisiert und in befristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Die Fluktuation wurde genutzt, um die Neubesetzung mit LeiharbeiterInnen sowie mit MigrantInnen durchzuführen, die unter weit schlechteren rechtlichen Bedingungen und zum Teil illegal beschäftigt wurden. Seit einem in den 1990er Jahren verhängten Einstellungsstopp wurden weitere Errungenschaften zerschlagen, so wurden die Beschäftigten gezwungen, einen dreiwöchigen unbezahlten Urlaub hinzunehmen.

Wisconsin ist für die dort regierenden Republikaner ein Prüfstein zur Durchsetzung ihrer reaktionären Politik. Dem Haushalt fehlen 3,6 Milliarden U.S. Dollar. Um diese Lücke trotz aller Proteste zu füllen, ist offenbar jedes Mittel Recht: Für Aufsehen sorgte Scott Walker, der republikanische Gouverneur von Wisconsin, der in einem Telefongespräch mit Ian Murphy in Erwägung gezogen hat, Provokateure zu Demonstrationen zu schicken, um diese zu diskreditieren: Im Verlauf der 20minütigen Unterhaltung entlockte Murphy dem republikanischen Gouverneur eine Reihe provokativer Bemerkungen. Walker schlug vor, die 14 Senatoren der Demokratischen Partei wegen schwerer Straftaten anzuklagen, da diese, um die Abstimmung im Parlament zu verhindern, in das benachbarte Illinois “geflüchtet” waren. Zum Beschluss wären 20 Stimmen nötig gewesen, diese konnten die 19 republikanischen Abgeordneten so nicht aufbringen. Abgesehen von dieser Kuriosität gehen immer weniger Menschen in Wisconsin davon aus, dass AB11 im Parlament verhindert wird und gehen mit immer neuen Protestaktionen auf die Straße. Am vergangenen Samstag kam es in Madison mit 100.000 TeilnehmerInnen zu einer der größten Protestdemonstrationen der dortigen Geschichte. In weiteren ca. 50 Städten kam es zu Solidaritätsaktionen mit teilweise mehreren tausend Menschen. Ein interessanter Aspekt bei den Aktionen ist der Vergleich, den viele der Protestierenden mit den Aufständen in Ägypten, Libyen und Tunesien ziehen. Zwar ist der soziale und poltische Protest weit entfernt von einem Aufstand, dennoch richtet er sich im Grunde gegen dieselben Ursachen: Ein kapitalistisches System, das nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.

Zunehmend ins Visier gerät die Obama Administration, die Billionen Dollar in die Bankenrettung und die Bonuszahlungen für die Vorstände der Wall Street gesteckt hat, sich jedoch weigert, bankrotten Staaten und Stadtverwaltungen zu helfen. Er will einen Lohnstopp der Bundesbediensteten und arbeitet an einem Haushalt, der Hunderte von Milliarden U.S. Dollar an Kürzungen in den sozialen Bereichen vorsieht und damit vor allen die Bevölkerung trifft. Damit steigen die Aussichten, dass sich die Sozialproteste in weitere US-Bundesstaaten ausweiten.

Siehe auch den LabourNet Schwerpunkt: Massenproteste gegen Sparpläne im Öffentlichen Dienst.

Posted in Arbeitskampf, Aus aller Welt, News, Squat the world | Leave a comment

Freiheit für Mumia Abu-Jamal: Rundbrief März 2011

Am 28. Januar 2011 beauftragte Mumia Abu-Jamal den NAACP Legal Defense and Educational Fund, Inc. (LDF), um ihn in seinem Verfahren zu unterstützen. LDF wird das Verteidigerteam um Judy Ritter, die Mumia Abu-Jamal seit 2003 vertritt, verstärken.

Noch gibt es keine Entscheidung von dem 3. Bundesberufungsgericht. Am 9. November vergangenen Jahres hatte es dort eine Anhörung gegeben, in der die Staatsanwaltschaft erneut verlangte, eine Hinrichtung von Mumia zu ermöglichen. Mumias Verteidigerin Judith Ritter hatte die fehlende gesetzliche Grundlage dieser Forderung deutlich herausgestellt. Doch nach allen Erfahrungen mit der Justiz in diesem inzwischen Jahrzehnte währenden Rechtsbruch ist es sehr zweifelhaft,dass Gerichte positive Entscheidungen für Mumia fällen. Nach Einschätzung von BeobachterInnen vor Ort ist die öffentliche Meinung in Philadelphia jedoch äußerst kritisch, was das derzeitige Anliegen der Staatsanwaltschaft angeht.

Hier bedarf es weitergehender Unterstützung, um den Behörden deutlich zumachen, dass das Interesse an Freiheit und Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal ungebrochen ist. In diesem Zusammenhang können wir nur immer wieder auf die Schreibkampagne für Mumia hinweisen: Briefe oder Karten an Mumia zeigen ihm, aber auch den Postzensierenden Behörden, wie weit der Fall weltweit beobachtet wird.

Mumias Adresse:

Mumia Abu-Jamal
AM8335
SCI Greene Prison
175Progress Drive
Waynesburg,PA 15370
USA

Am 18. März ist der Tag der politischen Gefangenen. In diesem Zusammenhang finden bundesweit etliche Informationsveranstaltungen über Mumia Abu-Jamal und weitere politische Gefangene aus den USA statt. (siehe Termine). In der Februar Ausgabe dieses Rundbriefes wurde die Rote Hilfe Beilage erst zum Tag der politischen Gefangenen in der Tageszeitung Junge Welt (jW)angekündigt. Das war falsch. Die Beilage wird bereits früher, nämlich am 10. März in jW beiliegen.

Mumias 57. Geburtstag (24.04.2011) fällt dieses Jahr auf das Wochenende der Ostermärsche der Friedensbewegung in der BRD. In einigen Orten gibt es bereits Austausch mit lokalen OrganisatorInnen der Friedensbewegung. Mumia ist um einen Redebeitrag für die Ostermärsche gebeten worden. Falls Leserinnen oder Leser hier selbst aktiv werden und lokal etwas für Mumia organisieren möchten, meldet euch bitte beim Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal!. Vielleicht können Ideen und Material ausgetauscht werden.

Ebenfalls in der Zeit um Mumias Geburtstag erscheint ein Buch in der Laika Bibliothek des Widerstand über seinen Fall. Es wird neben zwei bereits bekannten auch einen neuen Film über Mumia enthalten. Dieser heißt “Justice On Trial” und hatte im November 2010 in Philadelphia Premiere. Parallel zu der Erscheinung sind bereits mehrere Veranstaltungen in Planung. Auch hier können sich Interessierte gerne an das Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal! wenden.

Anfang Februar wurde bekannt, dass die US Gesundheitsbehörde FDA neben England und Italien auch in anderen EU Ländern nach dem für die derzeitige Hinrichtungsmethode notwendigen Thiopental gesucht hat. In Österreich stellt die Schweizer Firma Sandoz dieses Präparat her und deren Produkte sind seit Herbst letzten Jahres an die FDA verkauft worden.

Inzwischen scheint es so, als ob die Behörden der verschiedenen Bundesstaaten sich von der Illegalität ihrer Giftbeschaffung nicht weiter abschrecken lassen und Hinrichtungen weiterhin durchführen. Nach Einschätzung verschiedener Anti-TodesstrafenaktivistInnen werden die beteiligten US Bundesstaaten in Zukunft versuchen, den Cocktail beider Hinrichtung mit der Giftspritzen durch ein einziges Medikament zu ersetzen. Wenn wir die Todesstrafe wirklich abschaffen wollen, müssen wir die gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber intensivieren. Es zeigt sich, dass auch in einem sog. “rechtsstaatlichen” Europa kaum Probleme für die HenkerInnen bestehen, Material für das staatliche Ermorden von Gefangenen zu beschaffen. Und ansonsten denken sie sich halt etwas neues aus, um Gefangene zu ermorden. Die Todesstrafe wird nur über entschlossene gesellschaftliche Ablehnung abgeschafft werden.

Zum weiteren Inhalt:

Nachrichten aus der Bewegung

LDF verstärkt Mumia Abu-Jamal’s Verteidigungsteam (08.02.2011)

LDF Joins Mumia Abu-Jamal Defense Team (07.02.2011 – engl)

(Interview L. Washington) Mumia’s case a lightning rod for police terrorism(05.01.2011 – engl)

Termine zur Unterstützung für Mumia Abu-Jamal

Mi,16.03.2011, Heidelberg,Himmelheber, 20:00
Justizmorde in den USA – von Sacco & Vanzetti bis Mumia Abu-Jamal
Vortrag mit Michael Schiffmann, Veranst.: Rote Hilfe e.V. OG Heidelberg
Theaterstr.16
69117 Heidelberg

Fr,18.03.2011, Wiesbaden,Infoladen Linker Projekte, 19:00
Free Mumia Abu Jamal – mit dem Film “In Prison My Whole Life”
Infoladen Linker Projekte
Werderstr.8
65195 Wiesbaden

Fr,18.03.2011, Kiel,Kulturzentrum Hansastr. 48, 19:00
Informationen über die Lage der politischen Gefangenen weltweit (u.a. Leonard Peltier und Mumia Abu-Jamal) Veranst. Rote Hilfe Ortsgruppe Kiel
Kulturzentrum Hansastr. 48 – Holzraum
24118 Kiel

Fr,18.03.2011, Mainz,Weltmöbelladen, 19:30
Mumia Abu Jamal – Michael Schiffmann berichtet über seine Besuche im Todestrakt und den aktuellen Prozess des zum Tode verurteilten afro-amerikanischen Journalisten.
Veranstalterin:Rote Hilfe e.V. OG Mainz
Weltmöbelladen
Rheinallee79 – 81
55118 Mainz

18.03.2011, Nürnberg, KOMM 20:00
Film: “JUSTICE ON TRIAL – The case of Mumia Abu-Jamal” (USA,2010)
Der neue Film der “big noise production” über Mumia Abu Jamal.
“Projekt Gedächtnis” des LAIKA-Verlags in Kooperation mit der Regionalgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen der Roten Hilfe e.V.
KOMM
Untere Seitenstr. 1
90429 Nürnberg

Sa,19.03.2011 InternetRadio13 – 15:00
2stündige Sondersendung zum Tag der politischen Gefangenen: Geschichte des 18. März, Interview mit Berliner Konferenzvorbereitung, Schwerpunkt – Vorstellung verschiedener politischer Gefangener in den USA, Ausschnitte aus dem Mumia-Hörbuch u.v.m.
Weltweit im Internet

Sa, 19.03.2001, Berlin
Kongreß zum Tag der politischen Gefangenen 2011
ab 12:00 in der Schule für Erwachsenenbildung (SfE)
Im zweiten Block geht es u.a. um Mumia und politische Langzeitgefangene in den USA. Mumia und die inhaftierte Anwältin Lynne Stewart sind für Beiträge für die Konferenz angefragt.
SfE im Mehringhof
Gneisenaustr.2a
10961 Berlin

Mo,21.03.2011, Berlin20:30, Zilona Gora
Politische Langzeitgefangene in den USA – über Mumia Abu-Jamal und andere Gefangene des afroamerikanischen und indigenen Widerstands
Zilona Gora
GrünbergerStr. 73
10245 Berlin/F-Hain
gemeinsam vom Internationalistischen Abend und Berliner Free Mumia Bündnis

Mi,30.03.2011, Tübingen,Wohnprojekt Schellingstr.6
Freiheit für Mumia Abu-Jamal! – aktuelle Infos und Hintergründe
Wohnprojekt Schellingstr.6 – Hausbar
72072 Tübingen

regelmässige Beiträge von und über Mumia Abu-Jamal auf RADIOAKTIV
“RadioAktiv” Montag 20-21 im Internet
Wiederholung die ganze Woche zu jeder geraden Stunde

Freiheit für politische Gefangene

Aktionstag für Cuban 5 – Samstag, 05.03.2011, 03:00-11:00 Uhr
Der Fünfte für die Fünf – Tag zur Unterstützung der Cuban 5 -Weltweit: Faxen, e-mailen und anrufen!
Zum Fünten jeden Monats: Erheben wir unsere Stimme für die Cuban Five

Termine und Hintergrund Infos zum Tag der politischen Gefangenen 2011 auf der Sonderseite der Roten Hilfe e.V.

Im Februar 2011 kam Bewegung in den Fall von Albert Woodfox. Er ist Mitbegründer der Black Panther Party im berüchtigten USamerikanischen Arbeitslager und Gefängnis Angola gewesen. 1972 wurden ihm und anderen der Mord an einem Schließer in die Schuhe geschoben. Sein Verfahren war wie in so vielen anderen Fällen mit Manipulationen und großer Unfairness durchzogen. Nun soll es eine Beweisanhörung über Diskriminierung bei der ursprünglichen Juryauswahl geben. Auch das Gericht geht davon aus, dass diese stattgefunden hat. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft die Gelegenheit,dem zu entgegnen. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt, um die Verurteilung von Albert Woodfox aufzuheben. weitere Infos

Gegen Polizeigewalt und Repression

Gesinnungsprozess gegen Berliner BuchhändlerInnen – Berichte vom 1. Prozesstermin (18.02.2011)

[B] Solidemo für Gefangene in Weißrussland (18.02.2011)

How Cities Like Philadelphia Waste Millions a Year Defending Crooked Cops (09.02.2011 – engl)

(Video) Schwere Polizeigewalt bei Anti-Räumungsprotesten in Berlin(29.01.2011)

Linkliste:

“socialnetworks” des Berliner Free Mumia Bündnisses:


http://myspace.com/FreiheitfrMumia
http://de-de.facebook.com/people/Anton-Mestin/100001505521584

Wir hoffen, gut informiert zu haben.

Posted in Informationskampagne, Mumia Abu-Jamal, News | Leave a comment

Ben Ali ist abgehauen, seine Köter aber…

Der Kampf um den Rücktritt des tunesischen Interimspremiers Ghannouchi – Augenzeugenbericht von drei Italienischen Aktivisten.

“Eine Revolution ohne Anführer und ohne Waffen machen ist keine leichte Sache, das muss erfunden werden, die Tunesier und Tunesierinnen sind aber stolz darauf, dem Drama dieser Tage zum Trotz. Das Fehlen einer Mitte offenbart sich in einem vermeintlichen Chaos, das sich tatsächlich aber gerade durch die Vielfalt der Lebensformen ein weiteres Mal als kollektive Kraft und Intelligenz erweist”.

Ben Ali ist abgehauen, seine Köter sind aber noch da…

Nach dem Präsident Ben Ali am 14. Januar durch den Druck des Volkszorns geschasst wurde, ist Tunesien wieder in Bewegung, der politische und soziale Transformationsprozess ist auf die gesamte arabische Welt und darüber hinaus über gesprungen findet weiter bei hoher Intensität statt: zur gleichen Zeit gibt es Revolten in Ägypten, Algerien, Marokko, Bahrain, Iran, Libyen, Libanon. Auf der anderen Seite des Meeres wird Griechenland weiter durch ein unstillbares anti-regierungsfieber erschüttert. In Libyen schließlich, ist der im Gang befindliche Bürgerkrieg gleichzeitig eine politische Revolution gegen eine korrupte und blutrünstige Diktatur.

Von hier aus begann, was wider besseres Wissen die “Jasminrevolution” genannt wurde, die in Wahrheit eine Absetzungsbewegung ist, die darum kämpft, zu einer politischen Revolution gegen die Versuchungen einer unmöglichen Rückkehr zur Normalität zu werden. Seit dem 25. Februar haben sich die Straßen erneut gefüllt und den Rücktritt des Ministers Ben Alis Ghannouchi, einem altgedienten Mann des Regimes, Banner der Reaktion und der Ordnungspartei gefordert. Seit Sonntag, dem 20. Januar ist die Kasbah der Medina, das historische und politische Zentrum von Tunis erneut besetzt. Das Gleiche findet in den anderen Städten Tunesiens statt, wo die Medinen – zentrale Orte der Städte – insgesamt durch Tausende Menschen belebt werden, die behaupten, dass sie “gewillt seinen, bis zum Tod zu bleiben, wenn nicht alle Mitglieder des alten Regimes zurücktreten und Tunesien frei sein wird”. “Keinen Schritt zurück” ist das, was diese neue Demonstrationsform des tunesischen Volkes kraftvoll behauptet. Der Tahir-Platz ist zur Methode geworden, ähnlich dem lateinamerikanischen “Planton”. Überall finden Proteste statt und die Konfliktmomente mit der verhassten Regimepolizei nehmen Tag für Tag zu.

Am 25. Januar hatte eine Demonstration mindestens 200000 Menschen auf die Straße gebracht – für ein kleines Land wie Tunesien, eine gigantische Zahl. Insgesamt ist im ganzen Land eine Million Menschen af die Straße gegangen. Auf der Straße rufen viele “Degage!” (“Geh!”, d.Ü.) und sie begleiten den Ruf mit einer aussagekräftigen Bewegung des Armes- Eine neue Deklination des “Que se vayan todos” das wir während der ersten tiefen Krise des neoliberalen Modells kennen gelernt haben. Wenn es alle zusammen rufen, wirkt es so, als würde eine Welle über den Platz rollen, die erhobenen Arme bewegen sich hin und her und versprühen Wut und Freude. Der Gedankengang ist einfach, er impliziert aber gleichzeitig die Bewusstwerdung der Schwierigkeit und der Radikalität eines revolutionären Wandels: die Macht muss an die Basis zurück, an das Volk. In einem Land, in dem 40% der Bevölkerung von einem Dollar am Tag lebt ist es kein Zufall, dass es die Jüngeren sind, die am lautesten schreien. Sie haben nicht viel zu verlieren, aber viel zu gewinnen.

Zuerst hat das Volk den Platz der Kasbah durch kleine Menschenströme gefüllt, die ihn zu Fuß aus den Gassen und den Alleen der Ringstraße ansteuerten, dann sind Tausende wieder zurück, sie sind aus der von den Rebellen in eine Festung umgewandelten Altstadt raus und daraufhin zum Palast des Innenministeriums gezogen, einem großen, grauen Gebäude, Sitz der Folterer Ben Alis. Mindestens 5000 Leute haben die Gitterabsperrungen und den Stacheldraht der Armee entfernt, und den Palast friedlich blockiert. Es gab junge Männer und Frauen, die auf dem Boden saßen und sangen. Andere standen auf Fenstersimsen, weitere noch waren auf Militärfahrzeuge geklettert. Alle forderten mit Nachdruck den sofortigen Rücktritt Ghannouchis. Plötzlich würden die ersten Maschinengewehrsalven in die Luft geschossen, als Antwort gab es Steine, Wut, und dann ein Hagel aus Steinen und Tränengaspatronen, auf den erste Schüsse in die Menge um weh zu tun folgten. Am Abend gab es schon Verletzte auf der Straße und brennende Barrikaden um die zentral gelegene Avenue Bourghiba.

Erst am späten Abend erreicht uns eine genauere Verletztenbilanz: drei durch Feuerwaffe, 30, die durch Antirioteinheiten verletzt wurden und ein Toter, einem 17-jährigen Jugendlichen Namens Mohammed Hanchi, den ein Gewehrschuss am Hals traf. Der Lärm der Schüsse ist so laut, wie das Schweigen der offiziellen tunesischen Medien Ohrenbetäubend ist. Die italienischen tappen ihrerseits auf eine Art im Dunklen, die den Beigeschmack bösen Willens hat.

Am Abend trifft eine Erklärung des Interimspräsidenten Ghannouchi ein, der im Juli vorgesehene Wahlen verkündet, aber nicht den zentralen Knoten der Proteste löst, nämlich das Bedürfnis, die mit der Diktatur verbundenen führenden Klasse auf Null zu setzen.

Samstag, der 26. ist ein Tag des Zorns, die Nachricht vom durch einen Schuss in den Hals getöteten Jugendlichen durchdringt die Kasbah, die andere Nachricht ist, dass sich die Leiche in der Hand der Militärs befindet, so dass das Warten der Angehörigen zum Warten Aller wird. Unverzüglich fordern hunderte Jugendliche aus den schmalen Gassen des Suk heraus das Recht ein, ihre Wut und ihre Empörung kund zu tun. Die Kids verlassen die Medina und es geht sofort mit Tränengaswürfen los, sobald sie sich auf der Alle der Kolonialstadt blicken lassen. Der Riot weitet sich auf die gesamte Umgebung aus, das Gas dringt bis in die Altstadt, ein Steineregen fällt auf die Polizei herab, der es nicht gelingt, die Demonstranten zurück zu drängen.

Am frühen Nachmittag geleitet eine Demonstration mit mehr als 5000 Leuten die Leiche Mohammeds zum Friedhof. Am Fuße der Kasbah wächst die Zahl der Polizisten weiter. Ein Polizeirevier wird in Brand gesteckt, es scheint so, als sei die gesamte Plebs der Casbah auf der Straße.

Von da an beginnt die Guerilla…

An Maschinenpistolensalven, Cs-Gas, Schockgranaten gegen Kids, die mit Steinen bewaffnet sind, wird nicht gespart. Zwischen der Rue Palestine und der Rue de Paris werden Barrikaden aus jedem verfügbaren Material organisiert, die Gewalt der Polizei aber ist nicht darauf ausgerichtet, ein Ende zu haben, alles, was am Fuße der Kasbah geschieht wird von den Demonstranten selbst dokumentiert und bei einem verzweifelten Lauf durch die Gassen der Medina sofort zum Kommunikationszentrum gebracht, das im besetzten Teil der Stadt liegt. Die Interaktion zwischen Realem und Virtuellem in jenem Zelt ist transparent. Die Stimmen der Straße landen durch Fatima, einer jungen, Kopftuch tragenden Arbeiterin mit unerschütterlicher Energie im Netz. Sie nehmen ihren Weg zum Rest der Welt aus dem Munde Omars auf, ein dunkles Mondgesicht und Doktorarbeit über Edward Said. Auf dieser Ebene manifestiert sich die kollektive Intelligenz als ein Lebensnerv dieser Im Gang befindlichen Revolution. ( http://www.facebook.com/setting.kassaba)

Stundenlang werden Ketten und Barrikaden organisiert, um den zentralen Platz zu verteidigen, auf dem die Zelte und die Bühne des Protests stehen.

Die ersten bestätigten Informationen sprechen von einer Bilanz von drei Toten, während nicht bestätigte Gerüchte von 15 Toten sprechen. Die Tatsachen fasst die Aussage eines Mannes unter den Platzbelagerern, der lakonisch erklärt: “Ben Ali ist abgehauen, seine Köter sind noch da”. http://www.youtube.com/watch?v=B6UoCXNkD6E&feature=player_embedded http://www.facebook.com/setting.kassaba

Samstag Nacht legt sich nach der Gewalt des Tages eine Ruhe, wie bei einer Sperrstunde, Militärfahrzeuge besetzen die Straßen. In der Zwischenzeit erreichen uns Nachrichten aus den Provinzen, die ein kompliziertes Mosaikwerk von Revolten erzeugen, die in Sfax, Sousse, Kasserine, Gafsa usw. im Gange sind.

Eine Revolution ohne Anführer und ohne Waffen machen ist keine leichte Sache, das muss erfunden werden, die Tunesier und Tunesierinnen sind aber stolz darauf, dem Drama dieser Tage zum Trotz. Das Fehlen einer Mitte offenbart sich in einem vermeintlichen Chaos, das sich tatsächlich aber gerade durch die Vielfalt der Lebensformen ein weiteres Mal als kollektive Kraft und Intelligenz erweist.

Von der Platzbesetzung und dem Basispunkt der Gewerkschaft UGTT aus startet ein Aufruf an die Generaldirektion des Transportwesens, die kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu gestatten, damit möglichst viele eine Chance bekommen, Tunis zu erreichen.

Seit heute haben die tunesischen Medien den Generalstreik ausgerufen, niemand hatte es gemerkt, dass sie statt dessen für Tunesien arbeiteten… Wer weiß, ob sie nicht die Freiheit erringen, von dem, was ihr Volk gerade tut zu berichten.

Aus Tunis, 27. Februar 2011

Quelle: http://de.indymedia.org/2011/02/301445.shtml

Posted in Aus aller Welt, News | Leave a comment